Isle Royale - Insel des Schicksals (German Edition)
Präsente gemacht, an die sie sich gar nicht mehr alle entsinnen konnte. Sie hatte sich revanchiert mit einem Gehstock, der mit Edelsteinen besetzt war, einem mit Silber verzierten Sattel aus Marokko, Dutzenden Seidenkrawatten und einer wunderschönen goldenen Uhr.
Sie blickte zurück und erkannte, wie wenig all diese Dinge ihr bedeutet hatten. Vielmehr kam ihr nun dieser Austausch von Kostbarkeiten wie eine hohle Geste vor. Lieber als all die Geschenke ihres Vaters hätte sie seine ungeteilte Aufmerksamkeit bekommen. Letztlich hatte für ihn auch nicht gezählt, sie mit seinen Gaben zu erfreuen, sondern dass die gehobene Gesellschaftsschicht erfuhr, was für wertvolle und erlesene Dinge Arthur Sinclair seiner Tochter zu schenken vermochte. Er hatte einen persönlichen Sekretär, dessen einzige Aufgabe darin bestand, sicherzustellen, dass sein Name vor den bedeutenden Leuten genannt wurde. Dank Milford Plunketts atemloser Briefe an die Zeitungen von Chicago und New York wusste alle Welt, was Arthur Sinclair seiner Tochter zu Weihnachten geschenkt hatte.
Das Jahr, in dem sie zehn geworden war, hatte sie irgendetwas – vielleicht Vorfreude – spät an Heiligabend geweckt. Auf Zehenspitzen war sie durch das Haus geschlichen und hatte ihren Vater schließlich im Wintersalon entdeckt. Er saß allein da, einen Kristallschwenker Brandy in einer Hand und einen kleinen ovalen Bilderrahmen mit einer Fotografie in der anderen. Im Zimmer gab es kein Licht außer dem Feuerschein. Deborah war mucksmäuschenstill. Sie erkannte das Bild wieder. Gewöhnlich stand es auf der Herrenkommode im Ankleidezimmer ihres Vaters, nur für seine Augen bestimmt. Er wusste nicht, wie oft sie sich in das Zimmer schlich, um heimlich das Bild ihrer Mutter zu betrachten, auf dem sie den Anhänger an einer Kette trug und heiter aus der Ewigkeit lächelte. Deborah starrte es stundenlang an, versuchte das bewegungslose flache Bild zum Leben zu erwecken, den Geruch ihrer Mutter zu finden, den Klang ihrer Stimme und die Essenz ihres Lächelns.
Bis zu diesem Moment hatte Deborah keine Ahnung gehabt, dass ihr Vater von der gleichen schrecklichen Sehnsucht geplagt wurde. Sie wollte zu ihm gehen, irgendetwas sagen, aber das konnte sie nicht, weil sie sah, dass ihr Vater weinte.
Sie hatte ihn nie zuvor weinen gesehen, und da hatte sie begriffen, dass es kein Geschenk gab, das sie ihm machen konnte, das die Leere in ihm ausfüllen könnte. Vielleicht war dies auch die Nacht gewesen, in der sie beschlossen hatte, ihrem Vater in allem bedingungslos zu gehorchen, ihm Freude zu machen, wann immer sie konnte.
Energisch zwang Deborah ihre Gedanken zurück in die Gegenwart, während sie zum Dachboden hochstieg. Wenn sie schon Wäsche machte, konnte sie auch gleich alles waschen. Sie verspürte eine seltsame Aufregung, als täte sie etwas Verbotenes, als sie Toms Bett abzog und seine Kleider einsammelte. Dann schalt sie sich ein Gänschen, stieg wieder hinunter, rollte ihre Ärmel hoch und machte sich an die Arbeit.
Als sie fertig war, leerte sie den Waschzuber hinter dem Haus aus. An der Stelle, wo sie das gebrauchte Wasser gewöhnlich hinschüttete, hatte sich eine dicke Eisplatte gebildet, und der Anblick verstärkte in ihr das Gefühl des Eingesperrtseins.
Vor Kälte zitternd kehrte sie ins Haus zurück und dachte wieder und wieder darüber nach, was Tom über ihr schreckliches Erlebnis mit Philip gesagt hatte. Eine Vergewaltigung. Konnte das sein? In Toms abgenutzter Bibel hatte sie im Alten Testament das Deuteronomium gelesen, sich eingehend mit den Aussagen zu Vergewaltigungen befasst. Langsam gewöhnte sie sich an die Vorstellung, dass Philip sich tatsächlich an ihr vergangen hatte, dass es mehr als nur eine theoretische Möglichkeit war. Amnon, der seine Schwester vergewaltigt hatte, war der Sohn König Davids gewesen. Furchtbare Dinge geschahen in den besten Familien. Aber das Wissen, dass ihr Verlobter ihr Gewalt angetan hatte, war alles andere als tröstlich.
Von aus Verärgerung geborener Tatkraft angetrieben stürzte Deborah sich in die Arbeit, schuftete den ganzen Vormittag lang. Für das Mittagessen bereitete sie einen Eintopf aus Tomaten aus der Dose vor, wildem Reis und einem Fisch, den Tom durch das Loch gefangen hatte, das er ins Eis gehackt hatte. Ihre Kochkünste verbesserten sich mit jedem Tag, obwohl ihre Ressourcen begrenzt waren. Sie überraschte sich selbst – und Tom vermutlich ebenfalls – mit ihren einfallsreichen
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