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Ismael

Ismael

Titel: Ismael Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Quinn
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eine.
    »Sicher«, sagte der andere, »aber er weiß das ja nicht.«
    Ich blieb stehen und fixierte Ismael, und Ismael saß friedlich da und reagierte auf nichts, bis die Jungen weitergingen.
    Ich starrte ihn noch eine Weile an, und er tat weiter so, als sei ich nicht anwesend. Dann gab ich auf und sagte: »Sag mir eins. Warum hast du mich nicht um Hilfe gebeten? Du hättest es gekonnt. Man setzt Mieter nicht über Nacht vor die Tür.«
    Nichts verriet, daß er mich gehört hatte.
    »Wie zum Teufel soll ich dich hier rausholen?«
    Er sah weiter durch mich hindurch, als sei ich Luft.
    Ich sagte: »Hör zu, Ismael, bist du sauer auf mich oder was?«
    Endlich bequemte er sich dazu, mich anzusehen, allerdings nicht besonders freundlich. »Ich habe dich nicht gebeten, dich zu meinem Gönner aufzuspielen«, sagte er. »Halte dich also bitte zurück.«
    »Ich soll mich also um meine eigenen Sachen kümmern.«
    »In einem Wort: ja.«
    Ich sah mich hilflos um. »Du meinst, du willst tatsächlich hier bleiben?«
    Wieder erstarrte Ismaels Blick zu Eis.
    »Ja, ist ja gut«, sagte ich schnell. »Aber was ist mit mir?«
    »Was soll mit dir sein?«
    »Na ja, wir waren noch nicht fertig.«
    »Nein.«
    »Und? Bin ich einfach Mißerfolg Nummer fünf oder was?«
    Ismael starrte mich eine Weile mürrisch an. Dann sagte er: »Nicht unbedingt. Wir können so weitermachen wie bisher.«
    In diesem Augenblick trat eine fünfköpfige Familie vor den Käfig, um einen Blick auf den berühmtesten Gorilla der Welt zu werfen: Mama, Papa, zwei Mädchen und ein Kleinkind, das auf den Armen der Mutter schlummerte.
    »Wir machen also einfach weiter wie bisher?« fragte ich laut. »Du hältst das für möglich?«
    Die Familie fand mich plötzlich viel interessanter als den Gorilla »Gargantua«, der schließlich nur dasaß und düster vor sich hin starrte.
    Ich sagte: »Also, wo fangen wir an? Weißt du noch, wo wir stehengeblieben waren?«
    Die Besucher sahen Ismael an, neugierig, wie er meine Frage beantworten würde. Als die Antwort kam, konnte natürlich nur ich sie verstehen.
    »Halt den Mund.«
    »Halt den Mund? Aber ich dachte, wir wollten weitermachen wie bisher.«
    Mit einem Grunzen kehrte Ismael uns den Rücken zu und schlurfte in den hinteren Teil des Käfigs. Die Besucher warteten noch eine Weile, dann kamen sie zu dem Schluß, daß ich den Gorilla verärgert hatte, sahen mich böse an und gingen weiter zur mumifizierten Leiche eines Mannes, der gegen Ende des Bürgerkriegs in der Mojave-Wüste erschossen worden war.
    »Ich bringe dich zurück«, sagte ich.
    »Nein danke«, erwiderte er. Er sah mich an, kam aber nicht wieder nach vom. »Du wirst es nicht glauben, aber ich lebe lieber so, als mich von jemandem aushalten zu lassen, auch wenn dieser Jemand du bist.«
    »Aber es wäre doch nur vorübergehend, bis wir etwas für dich gefunden haben.«
    »Was denn? Kunststücke im Fernsehen? Eine Nummer im Nachtklub?«
    »Hör zu. Wenn ich die anderen irgendwie erreiche, könnten wir uns zusammen etwas überlegen.«
    »Wovon redest du?«
    »Von den Leuten, die dich hierher gebracht haben. Du bist schließlich nicht selber gekommen, oder?«
    Er starrte mich haßerfüllt aus dem Halbdunkel an. »Geh weg«, fauchte er. »Geh weg und laß mich allein.«
    Also ging ich und ließ ihn allein.
    5
    Damit hatte ich nicht gerechnet - ich hatte überhaupt mit gar nichts gerechnet, und deshalb wußte ich jetzt nicht, was ich tun sollte. Ich quartierte mich im billigsten Motel ein, das ich finden konnte, und zog dann los, um bei einem Steak und einigen Drinks über die Lage nachzudenken. Um neun Uhr war ich noch keinen Schritt weitergekommen, also kehrte ich zum Jahrmarkt zurück, um zu sehen, was dort los war. Ich hatte Glück, wenn man so will - es war kalt geworden, und ein ekliger Nieselregen hatte die fröhlichen Gemüter abgekühlt und nach Hause geschickt.
    Ist »Hilfsarbeiter beim Jahrmarkt« eigentlich ein Beruf? Ich fragte den Mann nicht, der gerade das Schaustellerzelt zumachen wollte. Er sah aus wie achtzig, und ich bot ihm einen Zehner für das Privileg, eine Weile mit der Natur in Person eines Gorillas zu kommunizieren. Die moralischen Dimensionen meines Anliegens schienen den Mann nicht zu interessieren, und die Höhe meines Angebots quittierte er mit offener Verachtung. Ich legte noch einen Zehner dazu, und er ließ neben dem Käfig ein Licht brennen, bevor er weghinkte. Auf einigen der Podeste, auf denen die Schausteller tagsüber auftraten,

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