Issilliba - Aaniya, das Mädchen, das mit den Fliegen sprechen konnte (German Edition)
alles.
Als die Groglas mit ihr und Goran auf den Rücken am späten Vormittag den See und den naheliegenden Wald in westlicher Richtung verließen, hoffte sie bis zuletzt, dass Grom vielleicht wieder in der Nähe war und sie befreite. Doch all ihre Hoffnung erlosch, als sie kopfüber hängend den vom gestrigen Regen ziemlich matschigen Pfad zurück blickte. Die Wipfel des Waldes waren hinter dem hügligen Land verschwunden, auf das die heiße Sommersonne ihre kräftigen Strahlen herunter schickte.
Nicht viel Zeit ver strich, da erspähte Aaniya rechts und links des Weges weitläufige Kartoffelfelder. Niwis über Niwis in zerlumpter Kleidung tauchten in ihrem Blickfeld auf. Alle wuselten offensichtlich als Sklaven über den fruchtbaren Boden und ernteten die ersten Knollen. Aufsicht führende Groglas trugen zusammengerollte Peitschen in den Händen. Sie brüllten herum, und wenn ihnen die Arbeit nicht schnell genug voran ging, ließen sie ihre ledernen Riemen sprechen. Viele der Kleinmenschen trugen rotglühende Striemen in den Gesichtern oder auf den nackten Armen. Gerade wurde nahe am Wegrand eine Niwi-Frau brutal geschlagen. Aaniya zuckte zusammen von dem lauten Knall der auftreffenden Peitsche. Ihre gebundenen Hände ballten sich zu Fäusten. Sie konnte nicht mehr hinschauen und schloss die Augen. Doch die Schmerzensschreie der Niwi-Frau hallten ihr noch lange in den Ohren.
Als sie ihre Lider wieder öffnete, befanden sie sich auf einem breiten, kiesigen Fahrweg, der an einer riesigen Stallanlage vorbei führte. Sie hatte sich schon gewundert, warum es hier in Zudromo so wenig Tiere gab, doch jetzt wusste sie, wo all die Kühe und Schweine steckten. Durch eine geöffnete Tür sah sie Massen dieser unglücklichen Nutztiere, so dicht aneinander gepfercht, dass sie sich noch nicht einmal zwei Schritte nach vorne oder zur Seite bewegen konnten. Aaniya wurde fast schlecht von dem Anblick. Sie dachte an ihre Kuh, Leila, die Tag für Tag völlig frei über die grünen Wiesen wanderte und frisches Gras abrupfte.
Kurz vor Mittag, als ihr der Kopf von dem angestauten Blut schon höllisch weh tat, hörte sie eine piepsige Stimme, die ganz ähnlich der von Emma war.
„Aaniya, kannst du mich verstehen? Ich bin Sindi“ , tönte es von ihrem Rücken her.
„Ja, Sindi, ich kann dich verstehen. Wer bist du? Woher kennst du mich?“, hauchte Aaniya.
„Ich bin ein Gesandter von Exenia. Sie hat mich damit beauftragt, hier zwischen See und Stadt auf euch zu warten. Ich soll euch wichtige Neuigkeiten überbringen. Wo ist eigentlich Emma?“
„Die Groglas haben sie erschlagen“, flüsterte Aaniya mit tonloser Stimme.
„Was?“, piepste Sindi erschrocken. „Heißt das, ihr habt jetzt niemanden mehr, der für euch Merzorus Palast ausspähen kann?“
„Kommst du denn nicht mit uns?“
„Nein, Aaniya. Für uns Fliegen ist es nicht ratsam, nach Korgalisar zu reisen“, erklärte Sindi zögerlich. „Es lebt dort kein einziges Insekt, jedenfalls nicht in den Räumen über der Erde.“
„Wieso das?“, fragte Aaniya erstaunt.
„Die Groglas können uns nicht ausstehen. Sobald sie uns zu Gesicht bekommen, jagen sie uns so lange, bis sie uns erlegt haben. Keiner von uns geht dort hin.“
„ Aber Emma hätte uns begleitet“, widersprach Aaniya und presste ihre Zähne zusammen. All ihre Rippen taten ihr weh, wenn Nug unter ihr einen Schritt machte.
„Emma w ar eine besonders mutige Fliege“, meinte Sindi. „Ich glaube, sie hat einfach nicht viel über ihr Risiko nachgedacht.“
Eine Weile schwiegen die Beiden.
Aaniya fühlte den dicken, drückenden Kloß, der in ihrem Hals aufgestiegen war. Ja, Emma war eine besonders mutige Fliege gewesen, und sicherlich hätte sie nicht gezögert, mit ihnen in die Palastanlage Merzorus einzudringen. Jetzt lag sie tot, eng an ihren Bauch gepresst, unter ihrem Hemd. Zwischen ihr und einem riesigen Grogla, der sie mühelos wie einen Sack gefüllt mit Federn näher und näher an den Stadtrand Ruguros hinübertrug.
„Welche Neuigkeiten hast du für uns?“, fragte Aaniya nach einer Weile bitter.
„Xeras, der grüne Zauberstein ist nicht mehr auf der Spitze des höchsten Turmes. Merzoru hat ihn entfernen lassen. Aber leider kann ich dir nicht sagen, was er mit ihm gemacht hat.“
„Großartig“, stöhnte Aaniya verärgert. Jetzt hatte sie noch ein Problem mehr. Sie waren gefangen, hatten niemanden, der ihnen helfen konnte, und um dem allem noch die Krone aufzusetzen, besaßen sie
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