Issilliba - Aaniya, das Mädchen, das mit den Fliegen sprechen konnte (German Edition)
anschließenden Wald überblicken konnten.
Es war vollkommen still. Während Aaniya und ihr Vater sich kurz setzten und sich eine kleine Pause gönnten, begannen vereinzelt die ersten Vögel zu zwitschern. Im Osten färbten sich die ersten Wolkenschlieren zart rosa. Aaniya griff vorsichtig in ihre Hosentasche und zog Emmas zerdrückten Körper hervor. Sie hatte zwei Beine verloren. Aaniyas Augen füllten sich wieder mit Tränen. Sie riss ein Blatt von dem Haselnussstrauch, der den geheimen Gang so perfekt verbarg, wickelte die tote Fliege sorgfältig darin ein und schob sie dann so zurück in ihre Hosentasche. Plötzlich flog drüben über dem Wald ein Schwarm Raben auf. Das laute Krächzen der Vögel hallte über den See.
„Das muss Grom sein !“, rief Aaniya und sprang auf. Bestimmt jagt er da im Wald! Ich hol ihn her.“
Mit diesen Worten eilte Aaniya den Hügel hinab über das taunasse Gras in Richtung Sonnenaufgang. Am kiesigen Seeufer wandte sie sich nach Norden und erreichte schon nach wenigen Minuten den Waldrand. Aufgeregt drang sie in die düstere Baumwelt ein.
„Grom!“, rief sie. „Wir brauchen dich!“
Äste schlugen ihr ins Gesicht, und ihre Füße verfingen sich in den dichten Farnblättern, aber Aaniya hetzte weiter und weiter durch das dämmrige Dickicht. „Grom, wo bist du?“, schrie sie immer wieder.
P lötzlich fuhr ihr ein Grollen durch Mark und Bein.
„Aaniya, gerade jetzt habe ich so reiche Beute gemacht!“ , dröhnte Groms Stimme durch den noch immer ziemlich finsteren Wald.
„Wo bist du , Grom?“, rief Aaniya und lief weiter in die Richtung, aus der die knurrenden Worte gekommen waren. Plötzlich stolperte sie hinaus auf eine kleine, grasbewachsene Lichtung. Grom, der letzte Drache Zudromos, stand hoch aufgerichtet vor ihr im langen Gras.
A aniya hatte Grom zwar schon in der Höhle gesehen, doch hier unter freiem Himmel machte er einen noch gewaltigeren Eindruck auf sie als zu diesem Zeitpunkt. Seine gewaltigen Körpermaße - der große Kopf mit den spiralförmigen Hörnern, der lange Hals und der riesige dunkelgrüne Rumpf raubten Aaniya den letzten Atem. Wie versteinert stand sie da und starrte Grom mit weiten Augen an. Wahnsinn, welch ein schönes Tier, schoss es ihr durch den Kopf. Dann entdeckte sie den blutüberströmten Hirschen, der reglos vor dem Drachen im Gras lag.
„Wo ist Goran?“, ertönte Groms grollende Stimme.
„Die Groglas haben ihn erwischt “, sagte Aaniya und ihr Magen schürte sich zusammen. „Aber wir haben den Stein. Wir müssen uns beeilen!“
Groms mächtiger Schwanz peitschte durch die Luft und schlug wütend auf dem Boden auf. Die Erde erzitterte. Beinahe hätte die Wucht des Aufschlags Aaniya umgeworfen. Wie von Sinnen bearbeitete Grom mit seinen kräftigen Füßen die Wiese. Grasbüschel und Steine flogen durch die Luft. Aaniya kauerte sich erschrocken zusammen.
„Sie haben Goran?“, brüllte Grom zornig . Feuerschlangen züngelten aus seinen riesigen Nasenlöchern. „Und wer ist dann wir, Aaniya?“
„Mein … mein Vater ist mit mir gekommen“, stotterte sie ängstlich. „Er war Gefangener bei den - äh, du weißt schon bei wem.“ Diesmal vermied sie das Wort Grogla vorsorglich.
Langsam beruhigte sich Grom.
„Komm und steig auf meinen Rücken“, knurrte er schließlich. „Wir müssen fort von hier. Zurück in die Sigral-Berge.“
Grom machte sich so klein wie möglich, während Aaniya ehrfürchtig auf den vorderen Fuß des Drachens zuschritt. Tief bohrten sich seine langen, scharfen Krallen in den aufgerissenen Erdboden. Langsam streckte Aaniya ihre Hand aus und berührte Groms dunkelgrüne Haut, die mit unzähligen Schuppen gepanzert war. Grom war warm, sehr warm und fest. Nicht hart, sondern einfach fest. Aaniya konnte nicht enträtseln, aus welchem Material sein Panzer bestand, aus Horn oder Leder. Sie platzierte ihren Fuß in Groms Kniekehle und kletterte dann mit einem Schwung an ihm hoch. Kurz hinter dem Halsansatz zwischen zwei dieser knöchernen Höcker, die an dem Drachenkörper entlang bis zur Schwanzspitze verliefen, setzte sie sich. Noch hatten ihre Hände nicht genügend Halt gefunden, da breitete Grom schon seine mächtigen Flügel aus. Sie schimmerten hellgrün und waren leicht durchsichtig.
„Wir müssen aber noch hinüber zu dem kleinen Hügel da im Westen. Dort, direkt bei dem dichten Gestrüpp, wartet mein Vater auf uns“, schrie Aaniya über den Lärm der jetzt rhythmisch schwingenden
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