Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Livio
Vom Netzwerk:
Geschichte der Wissenschaft:
    Am 15. April 1726 machte ich einen Besuch bei Sir Isaac in dessen Domizil in Orbell’s Buildings Kensington, wo ich mit ihm speiste und allein mit ihm den ganzen Tag verbrachte … Nach dem Essen gingen wir – es war warm – in den Garten und tranken unseren Tee im Schatten der Apfelbäume, nur er und ich. Inmitten unseres Gesprächs erzählte er mir, er befände sich soeben in just derselben Situation wie damals [1666, als Newton wegen der Pest aus Cambridge nach Hause zurückkehren musste], da ihm seine Vorstellung vom Wesen der Gravitation in den Sinn gekommen war. Ursache all dessen sei das Herabfallen eines Apfels gewesen, als er sinnend dasaß. Warum sollte ein Apfel stets lotrecht zur Erde fallen, dachte er bei sich. Warum sollte er nicht seitwärts oder nach oben, sondern immer und unabänderlich zum Erdmittelpunkt streben? Ganz gewiss musste der Grund dafür sein, dass die Erde ihn anzieht. Aller Materie muss eine anziehende Kraft innewohnen, und die Summe der anziehenden Kräfte der Erde muss sich im Erdmittelpunkt befinden, nicht auf einer der Erdseiten. Deshalb muss ein Apfel lotrecht, das heißt in Richtung auf das Zentrum hin, fallen. Wenn aber Materie auf diese Art andere Materie anzieht, muss dies in Relation zu deren Masse geschehen. Folglich zieht der Apfel die Erde ebenso an wie die Erde den Apfel, gibt es also eine Kraft, die wir jetzt Schwerkraft nennen, die bis ins Universum wirkt … Das war die Geburtsstunde jener außerordentlichen Entdeckungen, durch die er zum Erstaunen ganz Europas der Philosophie ein festes Fundament schuf.
    Unabhängig davon, ob sich die legendäre Begebenheit rund um den Apfel im Jahr 1666 tatsächlich ereignet hat oder nicht, handelt dieser Mythos Newtons Genie und die einzigartige Schärfe seines analytischen Denkens beträchtlich unter Wert. Während keinerlei Zweifel daran bestehen kann, dass Newton sein erstes Manuskript zur Gravitationstheorie vor 1669 verfasst hat, so musste er doch keinen Apfel realiter fallen sehen, um zu wissen, dass die Erde Gegenstände anzieht, die sich nahe ihrer Oberfläche befinden. Auch kann sich seine unglaubliche Erkenntnis betreffs der Formulierung eines allgemeinen Gravitationsgesetzes nicht allein dem Anblick eines fallenden Apfels verdanken. Ja, es gibt gewisse Hinweise darauf, dass Newton einige der entscheidenden Konzepte, die er benötigte, um eine universal wirkende Schwerkraft zu fordern, erst 1684/85 aufgegangen sind. Eine Idee dieser Größenordnung ist in den Annalen der Wissenschaftsgeschichte so selten, dass selbst jemand mit einem so phänomenalen Geist wie dem Newtons erst eine lange Reihe intellektueller Schritte tun musste, um dahinzugelangen.
    Möglicherweise hat alles in Newtons Jugend begonnen, vielleicht mit der nicht allzu gelungenen Auseinandersetzung mit Euklids voluminöser Abhandlung zur Geometrie –
Die Elemente.
Laut Newtons eigener Aussage las er zuerst nur die Überschriften der Propositionen, weil er diese so leicht zu verstehen fand, dass er sich gefragt habe, warum jemand sich daran delektieren sollte, irgendwelche Beweise dazu niederzuschreiben. Die erste Aussage, die ihn innehalten und einige Konstruktionslinien aufs Papier bringen ließ, war diejenige, welche besagte, dass in einem rechtwinkligen Dreieck das Quadrat über der Hypotenuse gleich der Summe der Quadrate über den beiden anderen Seiten ist – der Satz des Pythagoras. Ein bisschen überraschend vielleicht, dass Newton in seiner Zeit am Trinity College in Cambridge zwar ein paar Bücher zur Mathematik, aber nur sehr wenige der anderen zu jener Zeit verfügbaren Werke gelesen hatte. Offenbar hatte er das nicht nötig!
    Das Buch, das sich als das vielleicht einflussreichste für Newtons mathematisches und wissenschaftliches Denken erweisen sollte, war kein anderes als René Descartes’
Geometrie.
Newton las es erstmals 1664 und dann immer wieder, bis er sich dessen Inhalt Schritt umSchritt ganz angeeignet hatte. Die Flexibilität, die sich durch die Einführung von Funktionen und freien Variablen ergab, schien ein Universum an Möglichkeiten zu eröffnen. Die analytische Geometrie ebnete Newton nicht nur den Weg zur Begründung der Infinitesimalrechnung und der dadurch möglich gewordenen Untersuchung von Funktionen anhand ihrer Tangenten und Steigungen, sondern brachte es fertig, Newtons wissenschaftlichen Geist wahrhaft zu entflammen. Vorbei die Tage der langweiligen Konstruktionen mit Zirkel und

Weitere Kostenlose Bücher