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Ist Gott ein Mathematiker

Ist Gott ein Mathematiker

Titel: Ist Gott ein Mathematiker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mario Livio
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tausend Messungen hintereinander vornehmen. Sie werden feststellen, dass aufgrund von zufälligen Fehlern und vielleicht auch gewissen Temperaturschwankungen nicht alle Messungen denselben Wert ergeben. Es wird vielmehr so sein, dass die Messungen sich um einen mittleren Wert häufen und manche Temperaturen darüber, manche hingegen darunter liegen. Wenn Sie die Anzahl der einzelnen Messwerte gegen den Temperaturwert auftragen, werden Sie dieselbe glockenförmige Kurve erhalten, die Quetelet für menschliche Merkmale erhalten hat. Ja, je größer die Zahl der Messungen ist, die Sie an irgendeiner physikalischen Größe durchführen, desto stärkerwird sich die Häufigkeitsverteilung Ihrer Ergebnisse der Glockenkurve annähern. Die unmittelbare Folge dieser Tatsache für die Frage nach der unbegreiflichen Erklärungsmacht von Mathematik lässt an Dramatik nichts vermissen: Selbst menschliche Fehler gehorchen gewissen strengen mathematischen Regeln!
    Quetelet ging in seinen Schlussfolgerungen sogar noch weiter. Er nahm den Befund, dass die Häufigkeitsverteilung menschlicher Merkmale der Fehlerkurve gehorcht, als Hinweis darauf, dass der «mittlere Mensch» in der Tat genau der Mensch sei, den die Natur hervorzubringen trachtet. Genau wie die Länge von Nägeln aufgrund von Herstellungsfehlern eine Häufigkeitsverteilung um einen durchschnittlichen (richtigen) Wert aufweist, so Quetelet, verteilen sich auch die Fehler der Natur um einen bevorzugten biologischen Typus herum. Er erklärte, die Menschen eines Landes gruppierten sich um ihren Durchschnitt herum, als seien sie das Ergebnis von Messungen an ein und derselben Person, durchgeführt mit Instrumenten, die so ungenau sind, dass sie ebendiese Schwankungsbreite hervorbringen.
    Quetelets Spekulationen gingen ohne Frage ein bisschen zu weit. Zwar war die Entdeckung, dass biologische Merkmale (physische und psychische) der Normalverteilung gehorchen, extrem bedeutungsvoll, doch taugt dies weder als Beweis für die Absichten der Natur, noch kann man auf dieser Grundlage individuelle Abweichungen als bloße Fehler sehen. Quetelet stellte beispielsweise fest, dass die durchschnittliche Körpergröße der von ihm betrachteten französischen Rekruten bei etwas über einem Meter sechzig lag, am unteren Ende müsste es dabei einen Mann von fünfundvierzig Zentimetern gegeben haben. Natürlich macht man keinen Fehler von mehr als einem Meter, wenn man die Größe eines Menschen von gut anderthalb Metern misst.
    Aber selbst wenn wir Quetelets Vorstellung von «Gesetzmäßigkeiten», die Menschen aus einem einzigen Guss formen, einmal beiseitelassen, ist die Tatsache, dass die Verteilung einer Vielzahl an Merkmalen, vom Körpergewicht angefangen bis hin zum Intelligenzquotienten, einer Normalverteilung gehorcht, für sich genommen recht bemerkenswert. Und als wenn das noch nicht genug wäre, ist sogar die Verteilung der durchschnittlichen Schlagzahl in der 1. Liga im englischen Baseball mehr oder minder normalverteilt, ebenso derJahresgewinn von Aktienindizes (aus vielen Einzelaktien). Ja, Streuungen, die von der Normalverteilung abweichen, erwecken häufig den Wunsch nach einer sorgfältigen Untersuchung. Wenn die Streuung der Englischzensuren an manchen Schulen beispielsweise nicht normalverteilt ist, kann das eine genauere Begutachtung der Benotungsverfahren an diesen Schulen bewirken. Damit soll nicht gesagt sein, dass alles und jedes normalverteilt ist. Die Wortlänge in Shakespeares Stücken zum Beispiel gehorcht keiner Normalverteilung. Er verwendete sehr viel mehr Wörter mit drei oder vier Buchstaben als Wörter mit elf oder zwölf. Auch das jährliche Einkommen US-amerikanischer Haushalte wird nicht durch eine Normalverteilung repräsentiert. Im Jahr 2006 beispielsweise erzielten die 6,37 Prozent Haushalte am oberen Ende der Einkommensskala rund ein Drittel der Einkünfte aller Haushalte insgesamt. Diese Tatsache wirft übrigens eine interessante Grundsatzfrage auf: Wenn sowohl die körperlichen als auch die geistigen Merkmale der Menschheit (die ja wohl die Grundlage für das potentielle Einkommen eines ihrer Vertreter bilden) normalverteilt sind, warum gilt solches dann nicht für das Einkommen? Die Antwort auf derlei sozioökonomische Fragen würde den Rahmen dieses Buches sprengen, für unseren gegenwärtigen begrenzten Blickwinkel bleibt jedoch die erstaunliche Tatsache relevant, dass im Prinzip alle physikalisch messbaren Attribute des Menschen – und die von

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