Ist Schon in Ordnung
der eben gegangen ist, mit keinem Wort.
»Ich weiß es nicht, zwölf, halb eins vielleicht. Ich weiß es nicht. Du warst jedenfalls nicht mehr auf.«
»Ich war schon im Bett.«
»Das stimmt.«
Sie errötet, weigert sich aber, etwas über ihn zu sagen, der gegangen ist. »Warst du bei Arvid?« Ich nicke und bediene mich von dem Speck, der übrig ist, nehme mir eine Scheibe Brot.
»Ist er nicht in Dänemark? Ich habe gehört, dass sein Opa gestorben ist.«
»Er wollte nicht mitfahren. Das ist seine Sache.«
Meine Mutter zuckt mit den Schultern, ich esse, und in dem Moment klingelt das Telefon. Sie geht ran, sagt vorsichtig Hallo?, und ist noch ganz ungeübt.
»Arvid ist am Apparat«, sagt sie. Kauend stehe ich auf und nehme den Hörer in die Hand.
»Hallo«, sage ich, kaue etwas langsamer, sonst ist er schwer zu verstehen, aber ich kriege mit, dass ich kommen soll. »Okay, ich komme sofort«, sage ich und lege vorsichtig auf, doch bevor der Hörer auf der Gabel ist, höre ich seine Stimme noch einmal, schnell nehme ich den Hörer wieder hoch, aber es ist nur noch der Summton zu hören.
»Ich muss los«, sage ich zu meiner Mutter und nehme mir noch eine Scheibe, die ich esse, während ich mich in den Flur setze und meine Lotsenjacke und die Schuhe anziehe.
»Wolltest du heute nicht zu Hause bleiben?«
»Das habe ich nie gesagt«, sage ich und weiß, dass ich es gestern gesagt habe. Ich drehe mich um, als ich die Tür aufmache,und sie steht im Licht des Küchenfensters und ist nur ein Schatten, und das macht es leichter.
»Wie wär’s mit Vorher-Bescheid-Sagen, wenn mehr als wir zwei hier wohnen sollen?«, sage ich und bin draußen, bevor sie antworten kann.
5
I ch gehe den Beverveien hinauf zur U-Bahn-Station am Einkaufszentrum. Es ist zwölf Uhr, über den Dächern höre ich die Glocken, die das Ende des Gottesdienstes in der Kirche verkünden. Es ist noch kalt, aber ganz blau, und die Sonne bringt die obere Schmutzschicht auf der Straße zum Schmelzen, sie heftet sich in graubraunen Streifen an meine Schuhe, und nahe der Station sind Glasscherben und Blutflecken auf dem Asphalt. Sie sind rosa und blass von der Nacht. An der Ecke vorm Haushaltsladen Stallen, dem früheren Glasmagasinet, stehen Leute und sehen sich die Auslagen an, die sie schon hundertmal gesehen haben, als wären sie auf einem Sonntagsspaziergang. Aber ich kenne sie und weiß, dass sie um das Zentrum kreisen und darauf warten, dass um eins die Kneipe aufmacht. Sie halten es zu Hause nicht länger aus und haben die Hände in den Taschen, damit man nicht sieht, wie sie zittern. Ich würde sie am liebsten anschreien, mit ihnen schimpfen: Reißt euch zusammen, verdammt, und geht mir aus dem Weg! Ich weiß, dass sie sich nicht zusammenreißen werden, dafür ist es zu spät. Sie sind alt, sie wollen nicht mehr, alles, was sie einmal kannten, ist verschwunden, alles, was sie einmal konnten, und jetzt stehen sie da und scharren mit den Füßen und haben nur eins im Kopf, dass die Uhr sie zu einem Schluck aus der Pulle bringt, und dann sitzen sie da und trinken, bis der Körper sich beruhigt, und reden Unsinnund finden es herrlich, und wenn der Abend kommt, müssen sie nach Hause und früh schlafen gehen, und sie hoffen, dass die Träume nicht zu schlimm werden und dass sie am nächsten Morgen wie immer aufwachen.
Ich öffne die Lotsenjacke am Hals, hole tief Luft und spanne die Brust mit aller Kraft an, dann gehe ich unten am Einkaufszentrum vorbei und über den Grevlingveien zum Veitvetsvingen und hinunter zu dem Haus, in dem Arvid wohnt.
Zuerst klopfe ich an die Tür, dann klingele ich, aber er kommt nicht, obwohl ich fünf Minuten warte, daraufhin drücke ich die Klinke herunter, die Tür ist offen, und ich trete in den Flur.
»Arvid?«, rufe ich vorsichtig, aber ich bekomme keine Antwort. Ich gehe weiter in die Stube und sehe, dass er mitten ins Zimmer gekotzt hat. Zum Glück für ihn liegt dort Linoleum und nicht der Teppichboden, den fast alle haben. Ich gehe in die Küche, fülle einen Eimer mit Wasser, suche einen Lappen, putze den Boden, gieße den ganzen Mist in den Ausguss und lasse lange heißes Wasser hinterherlaufen, damit alles verschwindet. Das ist nicht leicht, die letzten Reste muss ich mit Küchenpapier entfernen und in den Müll werfen. Ich nehme die Mülltüte aus dem Halter, verknote sie und stelle sie in den Flur, so dass sie nur noch nach draußen gebracht werden muss. Es riecht nicht so richtig gut, darum öffne ich
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