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Ist Schon in Ordnung

Ist Schon in Ordnung

Titel: Ist Schon in Ordnung Kostenlos Bücher Online Lesen
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zünde sie an. Ich sitze mit geschlossenen Augen in einem Streifen Sonne und rauche. Arvid kommt mir nach:
    »Darf ich mal ziehen«, fragt er. Ich reiche ihm die Kippe und kneife die Augen zusammen. Er zieht daran, bläst langsam den Rauch aus und sieht mich an.
    »Noch mal was von deinem Vater gehört?«
    Ich schüttle den Kopf.
    »Ist schon merkwürdig«, sagt er, und etwas anderes kann er nicht sagen, denn er begreift nichts. Es ist nicht seine Schuld, das weiß ich, aber es ärgert mich trotzdem.
    »Wird schon schiefgehen«, sage ich.
    »Das hoffe ich.« Ich bekomme den Zigarettenstummel zurück und nehme den nächsten Zug, bevor ich mir die Fingerspitzen verbrenne und ihn wegwerfe. Da schaut ein Kopf um die Ecke.
    »Erwischt!« Ich lasse die Kippe fallen und trete sie aus. Es ist Twisty, einer der Lehrer. Den Spitznamen hat er bekommen, weil er so komisch geht, aber der Name ist nett gemeint, denn Twisty ist bei allen Schülern beliebt. Er kommt auf uns zu und sagt:
    »Verdammt, müsst ihr ausgerechnet rauchen, wenn ich Aufsicht habe? Ich habe doch meine Pflichten. Seht mal«, sagt er und greift unter die Jacke, »die neuen Polök-Hefte sind da.«
    Er ist Sozialist, die haben ihre eigenen Kürzel, und Polök bedeutet Politische Ökonomie. Arvid macht neuerdings bei einem Studienkreis mit. Eifrig nimmt er das Heft entgegen. Twisty greift nach dem zweiten.
    »Bist du auch dabei?«, sagt er zu mir. »Am Donnerstag geht’s los.«
    Ich schüttle den Kopf.
    »Er ist noch nicht soweit«, sagt Arvid, »aber er kommt bald, Sie dürfen ihn bloß nicht nerven.«
    »Das wäre toll«, sagt Twisty. »Weißt du denn, dass sich die Mitgliederzahl in der FNL -Gruppe seit der Fahnenaktion verdoppelt hat, Arvid? Die Aktion hatte Stil.« Arvid errötet, und ich denke, dass das stimmt. Die Aktion hatte Stil.
    »Ich muss los, in zwei Minuten klingelt es. Und bitte raucht nicht mehr.« Er twistet um die Ecke der Sporthalle zurück zum Schulhof, und wir stehen auf und bürsten uns die Tannennadeln vom Hosenboden.
    »Das ist doch alles nicht echt«, sage ich.
    »Was denn?«
    »All das hier. Henrik mit seinem Französisch und Twisty mit seinen Heften, das ganze Gymnasium.«
    »Natürlich ist das echt«, sagt Arvid.
     
    Wir haben Konrektor Rønning in Englisch. Er ist der einzige Lehrer, den ich wirklich mag. Er ist ein Modenarr auf seine westnorwegische Art, zieht an den roten Hosenträgern, schiebt die Anzugjacke in den Rücken, während er mit westnorwegischem Akzent Englisch spricht, die grauen Haare stehen rechts und links ab, und er liebt es, wenn man über seine Witze lacht, die keiner versteht. Aber er mag sein Fach, füttert uns mit Zusatzstoff und tonnenweise Blättern, die er in der Pause durch den Matrizendrucker in seinem Büro jagt. Bald geht der Drucker wegen Materialermüdung in die Knie. Wenn er durch den Korridor läuft und auf dem Weg zum Unterricht seine Blätter lüftet, hängt in den Kurven ein süßlicher Spiritusgeruch.
    Wir haben den Anglo-American Reader als Lesebuch. Das britische Englisch ist anstrengend, hat einen Beigeschmackvon Moorwasser an den Rändern, aber das Amerikanische hat etwas, was ich mag. Wir lesen Texte über The Melting Pot, das goldene Amerika, das Land der Freiheit und Gleichheit, den Hafen für die Heimatlosen und Verfolgten, den Kuchen, von dem alle ein Stück abhaben wollen, die Erde, die alle pflügen wollen. Arme Leute aus Hardanger, den Abruzzen und der Ukraine auf der Flucht vor Gutsbesitzern, Kosaken und Steuerbeamten, den verdammten Schweinen, die einen Kleinbauern bis aufs Mark schröpfen, dass er Steine fressen muss, und wenn du nicht gerade Indianer oder Neger bist, kann es passieren, dass du einen Zipfel Zukunft und in der Prärie ein Stück Land siehst. Ich bin nicht blöd, ich weiß Bescheid über Napalm in Vietnam, Wounded Knee und den Ku-Klux-Klan. Seit ich auf der Welt bin, höre ich in den Nachrichten von Rassenunruhen. Sie haben Martin Luther King und Malcom X erschossen, ich habe Eldridge Cleavers Seele auf Eis gelesen und den hohen Grad seines Hasses gespürt. Aber diese Leute haben was. Sie sind echt. Sie gehen fort, um nie mehr zurückzukommen, und werden sichtbar. Ein Mädchen schreibt über seine Großmutter an Bord der S/S Imperator auf der Fahrt an der Freiheitsstatue vorbei nach Ellis Island. Winter liegt in der Luft, und sie geht in ihren farbenfrohen Kleidern und mit ihren schwarzen Haaren die Gangway hinunter zur Schleuse, wo die Spreu vom Weizen getrennt

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