Ist Schon in Ordnung
werden soll, Schneeflocken wirbeln durch die Luft, sie friert, und das Mädchen schreibt: the snow like stars in the night of her hair . Ihr gefällt der Satz, und mir gefällt er auch. Ich drehe mich zu Arvid und sage:
»Schön, was?« Er liest den Abschnitt zweimal und sieht mich resigniert an.
»Rosa Prosa«, sagt er.
»Was willst du damit sagen?«
»Überladen. Sentimental. US -Propaganda.«
»Mensch, kapierst du denn nicht? Diese Leute sind weggegangen, haben alle Brücken hinter sich abgebrochen, und das Mädchen versucht zu zeigen, dass sie Angst hatten, jawohl, aber dass es richtig war.«
»Vielleicht, trotzdem ist es rosa Prosa.« Ich reiße das Buch wieder an mich.
»Ehrlich Arvid, manchmal …«, sage ich laut und lese für mich weiter. Vielleicht hat er recht, vielleicht ist es sentimental, aber es gefällt mir. Ich sehe diese Großmutter vor mir.
»Ist es was Wichtiges, was ihr euch zu erzählen habt?«, fragt Rønning. Er steht am Katheder, hat die Daumen an den Hosenträgern und schaut mit zusammengekniffenen Augen über die Pulte.
»Nur eine Stelle in der Lektion. Die finde ich toll. Ich wollte nicht stören.«
»Tja. Vielleicht kannst du sie uns vorlesen?« Ich habe den Eindruck, dass er das r heute besonders weit hinten im Hals spricht. Ich sehe ihn flehend an, aber er grinst und macht eine aufmunternde Handbewegung. Verdammt, ich lese. Ich lese die ganze Seite und schließe mit dem genannten Satz, die Großmutter beschert mir einen Klumpen im Hals, meine Stimme bricht, und alle drehen sich um und sehen mich an. Sonst bin ich das Rauhbein in der Klasse, der Stärkste, der Beste im Sport, und mürrisch wie nur was. Es kam einfach so, ich weiß nicht, warum. Ich starre zurück, sie finden mich komisch, ist schon in Ordnung, sie sind nur Nebel, ich sehe bloß Arvids und Venkes Gesicht. Venkes Augen sind feucht.
»Nicht schlecht, die Stelle«, sagt Rønning.
»Vergessen Sie’s«, sage ich.
Nach der Stunde hält Rønning mich zurück. Er wartet, bis alle gegangen sind, und sagt:
»Ich muss mich entschuldigen. Ich hätte dich nicht auffordern sollen, die Stelle laut zu lesen. Mir war nicht klar, dass sie dir so viel bedeutet.«
»Das macht nichts.«
»Dann ist’s ja gut. Ist sonst alles in Ordnung? Ich habe den Eindruck, du wirkst zurzeit ein bisschen, wie soll ich sagen, zurückhaltend?« Er lächelt. Ich zucke mit den Schultern.
»Ich glaube, ich schmeiße die Schule bald hin.«
»Jetzt? Im letzten Jahr? Na ja, die Schule ist nicht alles. Du musst nicht glauben, dass ich so denke. Es gibt noch viele andere Dinge. Vielleicht würde dir eine Pause guttun. Denk mal eine Woche darüber nach, dann kommst du zu mir, und wir reden noch mal darüber, ja?«
»In Ordnung«, sage ich.
»Zu Hause habe ich übrigens ein Buch über Ellis Island. Vielleicht möchtest du es dir mal ausleihen?«
9
A ls wir Egil zu Grabe trugen, war Ostern. In der Woche davor zog Kari nach Kløfta. Wir hatten ein paar schöne Tage gehabt, der Frühling war in vollem Gange, die Natur spielte verrückt, und ihr Typ stand mit einem LKW vor dem Block und wartete in der Sonne. Er hatte keine Lust, beim Einladen zu helfen, und ich war froh darüber, weil ich weder ihn noch seinen LKW ausstehen konnte. Ich war in mein Zimmer gegangen, um etwas zu holen, was ich Kari schenken wollte: Eine Platte von The Supremes , die ich in Ringstrøms Antiquariat ergattert hatte, und ich stand am Fenster und schaute zu ihm hinunter. Er lehnte an der rotlackierten Motorhaube, rauchte und fuhr sich durch das gestriegelte Haar. Er schnipste die Zigarette auf den Fußweg und sah mit schläfrigen Augen und säuerlichem Lächeln den Block hinauf. Er war James Dean, und er war den weiten Weg gekommen, um Kari aus dieser Trabantenhölle zu erretten.
Egil trat aus der Haustür und ging mit einer großen Kiste auf dem Arm zum Wagen. Er hatte im letzten Jahr nichts auf die Reihe gekriegt, und jetzt hielt er sich seit einiger Zeit zu Hause auf, aber ich konnte sehen, wie rastlos er war, er trug stets eine mürrische Miene zur Schau. Er schob die Kiste auf die Ladefläche, und die beiden blieben stehen und unterhielten sich. Egil war ganz eifrig, konnte nicht stillstehen, und nach ein paar Minuten setzte er sich ans Steuerund startete den Wagen. Langsam rollte der LKW den Beverveien hinunter und verschwand in der Kurve. Als ich mit Kari nach draußen kam, war er die ganze Schleife gefahren und kam von oben wieder zu uns herunter. Ich gab Kari
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