Ist Schon in Ordnung
halte ihn zurück und will etwas sagen, aber es ist zu schwer, heraus kommt nur Kauderwelsch, und ich mache eine Bewegung mit der Hand. Er holt Papier und Bleistift. Ich schreibe auf: Könnten Sie meine Mutter anrufen und ihr etwas erzählen, damit sie nicht nervös wird? Dahinter schreibe ich die Telefonnummer.
»Das mache ich, Audun. Geh du nur unter die Dusche.«
Ich dusche. Das Wasser ist lauwarm und angenehm. Rot fließt es über meinen Bauch und den weißen Beton, eine rostige Schlange windet sich über den Boden, wird schmaler und verschwindet im Abfluss. Ich trockne mich vorsichtig ab und schaue in den Spiegel. O Gott.
Er klopft an und kommt herein, die Hand voller Pflaster, Borwasser und Jod, sieht mich an, schüttelt den Kopf.
»Wie fühlst du dich?«, fragt er.
»Ef tut weh.«
»Sehr?«
Ich nicke. Er schraubt die Flaschen auf, nimmt Watte in die Hand, reinigt die Wunden, die er sehen kann, und klebt Pflaster darauf. Ich rühre mich nicht, halte die Augen geschlossen. Einmal kommt er mit dem Ellbogen an meine Brust. Ich stöhne. Er drückt vorsichtig an einigen Stellen, und ich stöhne erneut.
»Da ist wohl eine Rippe gebrochen«, sagt er, »das tut weh, aber es ist keine Katastrophe. So, das war das, was ich tun kann. Aber deine Lippe, ich weiß nicht, ich glaube fast, du musst zum Arzt.« Er lächelt schief und sagt:
»Ich weiß noch, wie ich einmal in etwa so ausgesehen habe wie du jetzt. Ich war auch nicht viel älter. Das war in Hull, ein paar Jahre nach dem Ersten Weltkrieg. Ich hatte auf einem Frachter angeheuert. Ein Däne hat mich verprügelt, ich hatte keine Chance. Er war ein Zweimeter-Muskelpaket aus Hirtshals, aber hinterher haben wir uns angefreundet. Wir hatten uns einen Schnaps zu viel genehmigt, das war alles. Ich könnte dir von Hull erzählen, weißt du. Es war eine schöne Stadt. Nicht viele haben sie gemocht, aber mir hat sie gefallen. Mensch, hier stehe ich und rede. Du brauchst ein paar Klamotten.«
Er geht hinaus und wühlt im Schrank und kommt mit einem abgewetzten grauen Anzug zurück, nimmt mit den Augen Maß und hilft mir in die Hose. Sie passt und fühlt sich gut an, weil sie so sauber ist.
»So ist’s gut, beim Arzt musst du präsentabel aussehen, sonst wirst du schlecht behandelt.« Er ruft ein Taxi und zieht sich Pullover, Jacke und Schuhe an. Er will mich begleiten.
Auf der Fahrt den Trondhjemsveien hinunter drücke ich mich auf dem Rücksitz in die Ecke. Ich fühle mich jetzt besser, der Motor brummt und tickt wie in einem Taxi üblich, und hätten Mund und Brust nicht so geschmerzt, wäre ich vielleicht eingeschlafen. Ich schließe die Augen, und da sagt der alte Abrahamsen:
»Du weißt ja, Audun. Du bist achtzehn. Das ist eine schwierige Zeit. Da passiert so viel auf einmal, und hinterher sagen manche, es war die beste Zeit, die sie je hatten, und andere sagen, es war die schlimmste, und beides stimmt. Das Leben der Menschen ist unterschiedlich. Die Menschen sind unterschiedlich. Manche packt das Leben mit Samthandschuhen an, die habe ich auch gesehen. Aber eins ist sicher, plötzlich ist alles anders. Du bleibst nicht ein ganzes Leben lang achtzehn. Das ist vielleicht kein Trost, aber lass dir von einem gesagt sein, der außerhalb steht: Du wirst es schaffen, da bin ich ganz sicher.«
Der Arzt ist müde und gereizt. Das erste, was er sagt, als er uns hereinkommen sieht, ist:
»Waren Sie das?«, und er starrt den alten Abrahamsen böse an.
»Danke für das Kompliment. Sollte ich einen starken Kerl wie den hier so zugerichtet haben, ohne selbst eineSchramme abzubekommen? Danke, danke!« Er verbeugt sich, und der Arzt wird noch gereizter. Er schickt mich auf die Bank, ich lege mich flach hin, und er richtet eine Lampe auf mein Gesicht und beugt sich darüber. Er hat schwarze Augenränder und könnte eine Rasur vertragen.
»Hm«, sagt er, »Sie können wählen. Entweder nähe ich ohne Betäubung, und es sieht hinterher ganz ordentlich aus, oder Sie bekommen eine Spritze und schauen in drei Wochen in den Spiegel und fragen sich, woher die Hasenscharte kommt.« Er spricht wie James Cagney, wenn Cagney Norwegisch sprechen würde, es hängt ein Hauch von amerikanischem Film in der Luft, und was ist das überhaupt für eine Wahl?
»If verfifte auf die Betäubung«, sage ich so deutlich wie möglich.
Als er fertig ist, klebt er ein Pflaster auf die Wunde, ich bekomme eine Stupsnase, er wickelt einen Stützverband um meine Brust, und ich sage vielen Dank zu
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