Ist Schon in Ordnung
seinem Rücken.
»Der Nächste bitte«, ruft er durch die Tür, und wir gehen über den Flur, vorbei an der Rezeption und weiter durch die Doppeltür hinaus auf den Platz und halten Ausschau nach einem Taxi. Ich bin ganz aufgekratzt vor Müdigkeit und Schmerzen, und im Auto sage ich das einzig Richtige:
»Erfählen Sie mir von Hull.«
Der alte Abrahamsen lächelt und erzählt von Hull. Von der Einfahrt in den Humber mit Fischerbooten aus Grimsby dicht an dicht und von dem alten Raddampfer, der die Menschen über den Sund brachte, und dem alten Holzanleger, der bestimmt nicht mehr da ist, der aber nach Fisch und Teer roch und nach hundert Jahren Plackerei undSchweiß, wenn die Sonne darauf schien. Von friedlichen Sonntagen unter Bäumen in Pearsons Park, wo alte Männer in weißen Shorts und Hosenträgern im Schatten Boccia spielten, von den bedächtigen Schritten der über Siebzigjährigen und dem entfernten Klicken, wenn die Holzkugeln aufeinandertrafen. Es war so still, dass du deine Uhr ticken hörtest und deinen Herzschlag. Und der alte Abrahamsen war jung, lag dort im Gras und schmuste mit Mona O’Finley aus Dublin. Ihr Vater war nach 1916 getürmt und hatte sich in der Pendrill Street Nummer 14 niedergelassen, einem grauen Haus in einer Reihe grauer Häuser, gleich rechts unterhalb der Beverley Road auf dem Weg nach Osten. Ja, es gefiel ihm gut in Hull, dort gab es nicht viel Oberschicht, und an manchen Tagen hörte man zwischen den Handelshäusern im Hafenviertel nur Norwegisch und Dänisch. Und hattest du genug mit deinem Nachbarn geredet, konntest du zum Polar Bear gehen und dir ein Pint genehmigen, im besten Pub der Welt, wo sich Männer in zerschlissenen grauen Klamotten über Gewerkschaftspolitik und Poesie unterhielten.
»Poesie?«
»Ja, Poesie, und wenn du mich fragst, war das die schönste Zeit in meinem Leben. Weißt du, Audun, es gibt so vieles auf dieser Welt. Nicht nur das Hier und Jetzt.« Ich nicke, und wir fahren über die Sinsenkreuzung den Berg hinauf, vorbei am Krankenhaus Aker bis zur Pferderennbahn auf dem Gipfel, und ich wünschte, wir kämen nie in Veitvet an.
16
D en Rest der Woche und die Woche darauf bin ich krankgeschrieben. Meine Mutter hat eine Putzstelle im Park Hotel bekommen, darum ist sie fast den ganzen Tag unterwegs, und ich bin allein in der Wohnung, habe die Vorhänge zugezogen, trinke Suppe mit dem Strohhalm, liege auf dem Bett, lese und schlucke Globoid , wenn es sein muss. Gegen sechs kommt sie nach Hause und erzählt mir die neuesten Neuigkeiten von Berühmtheiten und Popgruppen, die im Hotel wohnen, von ihren Trinkgewohnheiten und wie es danach in ihren Zimmern und Toiletten aussieht. Sie ist alles andere als gnädig. Ich vermisse Arvid als Gesprächspartner, aber er ruft mich nicht an, und so rufe ich auch nicht bei ihm an.
Am Sonntag, bevor ich wieder zur Arbeit muss, fahre ich in die Østmarka. Ich nehme die Grorud-Bahn von Veitvet nach Tøyen, steige um in die Ostseebahn, fahre bis nach Bogerud und gehe von Rustadsaga aus in den Wald. Es ist kalt, die Luft ist klar und durchsichtig, und neben den Waldwegen liegt in glühenden Haufen totes Laub. Der Körper tut an mehreren Stellen weh, aber er funktioniert wieder, und ich gehe so schnell, wie ich kann. Es tut gut, die Muskeln zu quälen, es tut gut zu atmen, nach mehreren Tagen im Haus. Ich habe das große Pflaster gegen ein kleineres getauscht, so dass ich keine Stupsnase mehr habe. Die Schwellung ist zurückgegangen, und abgesehen von einpaar gelbblauen Flecken und dem Pflaster ist das Gesicht fast normal. Ich habe eine Zigarette in der Tasche. Die will ich rauchen, wenn ich die halbe Strecke hinter mir habe. Unterwegs treffe ich niemanden, den ich kenne, die Leute aus Veitvet gehen alle in die Lillomarka.
Ich sehe auch keine Tiere, aber ich sehe den Elvåga in der Sonne glitzern. Auf halber Strecke an dem langgezogenen See bleibe ich stehen, rutsche ein Stück den Hang hinunter und setze mich an die Uferböschung. Es ist offen und schön hier, ohne Laub an den Bäumen. Ich hole die Selbstgedrehte heraus und das kleine Notizbuch, von dem ich mir einbilde, dass Hemingway in den zwanziger Jahren in seinem Buch Paris – Ein Fest fürs Leben ein ähnliches benutzt hat. Ich zünde die Zigarette an und versuche, das zu machen, was auch er immer wollte: einen einzigen wahren Satz schreiben. Ich probiere mehrere aus, aber es kommt nichts anderes dabei heraus als das, was Arvid rosa Prosa nennen würde. Ich
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