Ist Unsere Liebe Noch Zu Retten

aus Versehen einen Radfahrer angefahren. Er liegt auf der Straße. Würdest du weiterfahren, wenn es den Tatbestand Fahrerflucht nicht gäbe? Nein, höchstwahrscheinlich würdest du anhalten. Und höchstwahrscheinlich wärst du am Fortgang der Gesundheit »deines« Opfers interessiert, mal unabhängig von der Versicherung.
    In der Liebe gibt es keine Verletzungs-Schutzversicherung. Und dabei tun die Fußtritte, die Knüffe, das Angefahrenwerden so viel mehr weh.
    Einer meiner Klienten fühlt sich für Tränen, die seine Frau seinetwegen weint, nicht zuständig. Dann kann er nicht trösten. Wenn du wegen irgendetwas anderem traurig bist,
sagt er, dann kann ich dir beistehen, dich trösten, aber wenn es meinetwegen ist … Dann weint seine Frau sich neben ihm die Seele aus dem Leib, und die Tränen frieren zu Eisklumpen durch seine Kälte.
    Stell dir vor, er tritt einer Frau auf den Fuß und sagt: Da können Sie keine Entschuldigung von mir verlangen, ja, wenn jemand anders ihnen auf den Fuß getreten wäre, dann könnte ich Sie jetzt trösten. Aber so … Es ist absurd, oder?
    Aber genau das ist der Weg, wie wir in eine Krise rutschen: Wir haben den andern – den liebsten Menschen in unserem Leben, oder? – verletzt. Schlimm verletzt. Nicht nur mal eben auf den Fuß getreten, sondern ein Messer in die Seele gestoßen, einen Tritt ins Herz verpasst, wir sind mit unserer Grobheit, Nachlässigkeit, Selbstbezogenheit, Lieblosigkeit über diesen Menschen hinweggefahren. Und was passiert?
    Wir leugnen. Wir sagen: Ich hatte auch Probleme. Wir bagatellisieren, sagen: Stell dich nicht so an. Du auch immer mit deiner Sensibilität! Wieso machst du so ein Drama daraus, wo ich doch bloß ein bisschen rumgeschrien habe? Wieso fühlst du dich verletzt, wo ich doch nur mit jemand anderem in den Film gegangen bin, den du schon seit Wochen mit mir besuchen wolltest? Wieso drohst du mit Trennung, wo ich dich doch nur ein bisschen betrogen oder belogen habe? Was? Du hast Angst, wenn ich rumbrülle, mit Sachen werfe? Was? Du findest, ich habe dein Vertrauen gebrochen? Nun mach mal halblang. So schlimm war das nun auch nicht!
    Wir begehen Fahrerflucht. Wir sagen dem Opfer, dass es selbst Schuld hat: Wenn es sich anders verhalten hätte, dann … Wir behaupten, wir wären es gar nicht gewesen, der andere hätte sich das alles nur eingebildet. Die Variationen, wie man sich von »Schuld« reinwaschen kann, sind vielfältig.
    Menschen fragen sich, wenn es um die Altlasten geht: Wer ist für das Ganze verantwortlich? Leider meinen sie es nicht so, sondern sie meinen: Wer hat Schuld? Schuld, Scham und
schlechtes Gewissen führen absurderweise dazu, nicht die Verantwortung übernehmen zu wollen.
    Aber Verantwortung hat nicht unbedingt etwas mit Schuld zu tun. Verantwortung hat etwas mit Antwort zu tun. Ich gebe die stimmige Antwort auf etwas, was ich getan habe, zum Beispiel einen Menschen verletzt. Einer meiner Klienten verweigerte die Antwort, wenn er seine Partnerin verletzt hatte, indem er sagte: Wer das Problem ist, kann nicht die Lösung sein. Das ist natürlich perfide. Denn es geht gar nicht um Lösung. Es geht darum, dass er mit seinem Herzen und seinem Verstand eine Antwort gibt auf sein Tun und es verbal und körperlich ausdrückt. Zum Beispiel um Verzeihung bittet. Zum Beispiel den Menschen, den er verletzt hat, tröstet, in den Arm nimmt, Verständnis äußert, mitfühlt.
    Verantwortung hat die ganze Beziehung im Auge und den ganzen Partner. Wir können niemandem die Verantwortung abnehmen, wir können sie auch niemandem aufladen. Wenn wir Mist gebaut haben und es unserem Partner zuschieben, wird es sich falsch anfühlen, auch wenn wir uns darin einrichten.
    Oft hat Verantwortung etwas damit zu tun, dass wir Schuld anerkennen. Schuld hat etwas mit Schulden zu tun. Wir haben dem anderen etwas genommen, Sicherheit, Vertrauen, seelische und körperliche Unversehrtheit, und jetzt müssen wir es zurückgeben. Dafür gilt es, Verantwortung zu tragen. Wer jetzt jammert, dass er ein Versager ist und immer alles falsch macht, der drückt sich genauso vor der Verantwortung wie einer, der cool sagt: Na und?
    Ein Kollege von mir, der mit gewalttätigen Männern arbeitet, erzählt oft, dass es die halbe Miete sei, wenn der Täter endlich seiner Schuld ins Gesicht blickt. Und die Verantwortung übernimmt. Das Muster: Mir ging es doch auch schlecht, ich bin nun mal arm dran, der andere hat mich gereizt, wird auch bei Mord und Totschlag ins Feld