Istanbul: Ein historischer Stadtführer
der Besuch dort nicht so lebhaft, wie der des Lustortes Küçük Su. Çubuklu und Sultaniye sind sehr stark besucht. Die Wiese von Hünkâr İskelesi ist wirklich ein Platz, der Sorge und Kummer vom Herzen zu scheuchen vermag.
Froh erinnert Mehmed Tevfîk, dass die entfernteren Orte am Bosporus erst durch die Dampfschifffahrt für jedermann erreichbar wurden.
Jetzt ist zwar dank den Hayrîye-Gesellschaftsdampfern der ganze Bosporus zu einem Vorort von Istanbul geworden. Vor Alters aber konnten die Lustorte am Bosporus nur für die Vornehmen als Erholungsstätte dienen. Es war infolgedessen für die gewöhnlichen Leute nicht allzu wohlfeil, dorthin zu kommen. So war Kağıdhâne … der Frühlingstreffpunkt … Dort konnte man Hoch und Nieder versammelt finden.
Die von Mehmed Tevfîk gelobten «Gesellschaftsdampfer» wurden von der 1851 gegründeten «Glückbringenden Gesellschaft»
(Şirket-i Hayrîye)
betrieben. Sie hatte 1854 in England ihr erstes Schiff, einen englischen Raddampfer mit einem Zylinder, erworben, der unter dem Namen
Rumeli
zehn Jahre Dienst tat. Damit war der Niedergang der
Kayıks
einschließlich der großen geruderten «Marktschiffe»
(pazar kayığı)
eingeleitet, von denen 1845 noch 19.000 registriert waren. Eine Anzeige im osmanische Staatsanzeiger vom 1. Mai 1851 kündigte ein regelmäßig verkehrendes Bosporusschiff mit folgenden Worten an:
Dank Seiner Majestät des Padischahs wurde ein Dampfschiff für Reisende auf dem Bosporus bestimmt. Der Dampfer verlässt Istanbul gegen 11 Uhr
alla Turca
(d.h. eine Stunde vor Sonnenuntergang) und wird nach dem Anlegen an den vorgesehenen Orten die Nacht in İstiniye (am europäischen Ufer) verbringen. Am nächsten Morgen wird er gegen 4 Uhr (ca. 9 Uhr) abfahren und nach dem Anlaufen der genannten Orte nach Istanbul zurückkehren.
Die erste Verbindung der «Glückbringenden Gesellschaft» wurde zwischen Eminönü und Üsküdar hergestellt. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch keine geeigneten Anleger, so dass ein manchmal abenteuerliches Umsteigen in Ruderboote unvermeidlich war. Am Bosporus wurden soweit wie möglich die Stege der größeren
Yalıs
genutzt. Frauen durften zunächst die Schiffe der osmanischen Gesellschaft nicht betreten, später wurden die Kabinen durch Vorhänge abgeteilt. Die Dampfschiffe hatten erhebliche Auswirkungen auf das soziale Leben der Istanbuler. Breite Volksschichten konnten sich nun auch an den Ufern des Göksu erholen, wie Mehmed Tevfîk hervorhebt. Die Wohlhabenden bezogen jetzt regelmäßig ihre Sommerwohnungen und Häuser am Bosporus oder auf den Inseln.
Das Drei-Sultane-Jahr 1876
und die Absetzung von Abdülazîz
Die Eröffnung des Palastes von Dolmabahçe im Jahr 1856 unter Abdülmecîd war ein glanzvolles Ereignis, schon weil es mit dem siegreichen Ausgang des Krieges gegen Russland zusammenfiel, in dem England und Frankreich mit den Osmanen verbündet waren. Der im erhöhten Mitteltrakt des Palastes liegende «Thronsaal» diente ab 1876 mit Ausnahme weniger Jahre dem traditionellen Huldigungszeremoniell an den beiden Hauptfesttagen des islamischen Jahres. Dieses Zeremoniell ist als Erneuerung der bei der Thronbesteigung eines Sultans üblichen Feierlichkeit zu verstehen.
Dolmabahçe war aber auch der Schauplatz der Inhaftierung und Absetzung von Sultan Abdülazîz durch einen Militärputsch unter der Führung von Süleymân Pascha (1838–1892), der den Sultan als einen unwissenden Despoten bloßstellte, für den das göttliche wie das weltliche Recht nichts mehr war als ein Spielzeug. Er warf Abdülazîz vor, die Augen davor zu verschließen, dass sich die ausländischen Konsuln auf osmanischem Territorium wie unabhängige Herrscher aufführten und dass an den Muslimen in Bulgarien entsetzliche Greueltaten verübt würden. SüleymânPascha hat die Ereignisse, die zur Absetzung von Abdülazîz und zur Inthronisierung von Murâd V. führten, aufgezeichnet, ohne die Ich-Form zu gebrauchen.
Abb. 27: Medaille von Abdülazîz (ca. 1867)
Sultan Azîz war ohne Kenntnis von den Vorgängen (der Verschwörung) … bis die erste Kanone abgeschossen wurde. Als er durch das Geschützfeuer erwachte, blickte er (von Dolmabahçe aus) zu den Schiffen hinüber und erkannte, dass es Marinefahrzeuge waren, und sprach zu sich selbst: «Sie haben Murâd auf den Thron gebracht.» Er verließ das Bett und kleidete sich an. In Begleitung des Kriegsministers bestieg Sultan Murâd die Kutsche, die an der Landungsstelle in Sirkeci auf ihn
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