Italienische Novellen, Band 1
angenommen.
Der König hatte zu Kampfrichtern drei alte Barone erwählt, die in früherer Zeit gleichfalls selbst wackere Kämpfer gewesen waren und sich in vielen Unternehmungen geübt und als rechtschaffene und einsichtige Männer bewährt hatten. Sie hatten ihr Tribunal mitten in der Rennbahn gerade dem Punkte gegenüber, wo meistens die Kämpfenden sich zu treffen und ihre Schläge zu führen pflegten. Nun müßt ihr euch vorstellen, daß alle Frauen und Töchter des Landes sich hier versammelt hatten, und daß eine solche Menge Volks hier beisammen war, wie es sich von einem Feste dieser Art erwarten ließ. Und vielleicht kämpfte daselbst kein Ritter, der nicht seine Geliebte hatte, und jeder hatte irgendein Geschenk von ihren Frauen, wie bei ähnlichen Kämpfen zu geschehen pflegt. Zum angesetzten Tag und Stunde erschienen alle Kämpfenden mit größtem Pompe der reichsten Überkleider sowohl über den Waffen als den Pferden. Der Kampf begann: viele Lanzen splitterten, und manche führte schöne Schläge; aber das allgemeine Urteil ging dahin, daß der Seneschall Ariabarzanes es sei, der den Preis davontragen müsse; wäre aber er nicht da, so übertreffe der Sohn des Königs bei weitem alle andern: denn keiner der Wettkämpfer hatte über fünf Streiche für sich, nur des Königs Sohn hatte deren neun. Der Seneschall zeigte elf kräftig und ehrenvoll gebrochene Lanzen, und wenn er noch einen einzigen Streich gewann, so war er Sieger im Spiele; denn zwölf Streiche waren an jenem Tage den Kämpfenden vorgeschrieben, um den Preis zu gewinnen, und wer sie zuerst führte, bekam ohne weiteres Hindernis den Preis.
Dem König (um die Wahrheit zu sagen) konnte keine größere Freude werden, als wenn die Ehre dieses Tages seinem Sohne zufiele; aber er sah nicht wohl ein, wie es möglich werden sollte: denn er erkannte den großen Vorsprung, den der Seneschall hatte, gut; doch ließ er sich als ein kluger Mann die Sache im Gesicht nicht merken. Auf der andern Seite war sein junger Sohn, der vor seiner Geliebten kämpfte, bis zum Tode verdrießlich darüber, daß er so seine Hoffnung schwinden sah, die erste Ehre zu erringen, so daß Vater und Sohn von gleichem Verlangen brannten. Aber die Trefflichkeit und Tapferkeit des Seneschalls und der Umstand, daß er seinem Ziele schon so nahe stand, schnitt ihnen alle Hoffnung ab, wenn noch eine solche übriggewesen war. Im Augenblicke nun, als der Seneschall seine letzte Lanze brechen wollte – er ritt an diesem Tage eben das treffliche Pferd, das ihm der König auf der Jagd geschenkt hatte, und wußte genau, daß der König sehnlichst wünschte, seinen Sohn siegreich zu sehen; ebenso kannte er die Gesinnung des Jünglings, der zu Ehren und in Gegenwart seiner Geliebten ganz von demselben Verlangen glühte, – in dem Augenblicke faßte er den Entschluß, sich einer solchen Ehre zu entkleiden und sie dem Sohne des Königs zu überlassen. Er wußte zwar wohl, daß eine solche Großmut dem König nicht gefiel; nichtsdestoweniger war er aber geneigt, durch Beharrlichkeit seine Ansicht zu überwinden, nicht weil er mehr begehrte, als der König ihm schenkte, sondern bloß, um sich zu ehren und Ruhm zu erwerben: der Seneschall war der Ansicht, es sei undankbar vom König, diese Handlungen des Edelmuts, den er gegen ihn übte, nicht annehmen zu wollen. Er hatte sich nun unter allen Umständen vorgenommen, es so einzurichten, daß die Ehre dem Sohne des Königs bliebe: er legte die Lanze ein, als er nahe daran war, mit ihm zusammenzutreffen (denn er selbst war es, der ihm entgegenkam), ließ aber die Lanze aus der Hand fallen und sagte: »Mein Edelmut soll es dem andern gleichtun, wenn er auch nicht geschätzt wird.«
Der Sohn des Königs traf mit Anstand den Schild des Seneschalls, brach seine Lanze in tausend Stücke und gewann den zehnten Streich. Viele hörten die Worte des Seneschalls, die er beim Wegwerfen der Lanze aussprach, und alle Umstehenden ohne Ausnahme merkten, daß er nicht habe treffen wollen, um nicht den letzten Streich zu führen und um dem Sohne des Königs die so sehr gewünschte Ehre des Turniers zu lassen. Er verließ auch darauf die Schranken. Der Sohn des Königs bestand ohne große Mühe die letzten Gänge und trug Preis und Ehre davon. Unter dem Schalle von tausend Musikinstrumenten und unter Voranführung des Kampfpreises wurde er mit Pomp durch die ganze Stadt geleitet, und unter dem Gefolge befand sich auch der Seneschall, der fortwährend mit
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