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Italienische Novellen, Band 1

Italienische Novellen, Band 1

Titel: Italienische Novellen, Band 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verschiedene Autoren
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lautes Weinen die Sache entdecken, und als er sah, daß seine Bemühungen nichts nützten, beschloß er, sie gehen zu lassen und mit seinem Begleiter sich zu entfernen. Und so tat er auch.
    Nachdem Giulia ihre verlorene Unschuld eine Weile bitterlich beweint hatte, legte sie ihre zerzausten Kleider wieder zurecht, trocknete sich, so gut es ging, die Augen, kam bald nach Gazuolo und ging in ihr Haus. Weder ihr Vater noch ihre Mutter war da; bloß ihre Schwester fand sie, ein Kind von zehn bis elf Jahren, das, weil es etwas unpäßlich war, nicht hatte ausgehen können. Als Giulia im Hause war, öffnete sie ihre Kiste, in der sie ihre kleinen Habseligkeiten hatte. Dann zog sie alle Kleider aus, die sie anhatte, nahm ein frischgewaschenes Hemd und legte es an. Dann nahm sie ihren Schleier von schneeweißem Boccaccin, eine Halskrause von blendendem Flor und eine weiße Florschürze um, die sie bloß an Festtagen zu tragen pflegte. Sodann zog sie Strümpfe von weißem Sarsch und rote Schuhe an. Weiter schmückte sie sich das Haupt, so reizend sie konnte, und band um den Hals eine Schnur gelber Bernsteine. Kurz, sie putzte sich auf mit dem Schönsten, was sie finden konnte, als wenn sie sich auf dem größten Feste von Gazuolo hätte zeigen wollen. Dann rief sie ihre Schwester und schenkte ihr alle andern Sachen, die sie besaß, nahm sie bei der Hand, schloß die Haustür und ging in ein Nachbarhaus zu einer sehr alten Frau, die schwerkrank zu Bett lag. Dieser guten Frau erzählte Giulia weinend den ganzen Hergang ihres Unglücks und sagte zu ihr: »Verhüte Gott, daß ich am Leben bleibe, nachdem ich meine Ehre verloren habe, auf der die Freude meines Daseins ruhte! Nimmermehr soll es geschehen, daß man mit Fingern auf mich deute oder mir ins Gesicht sage: ›Sieh das artige Mädchen, das eine Metze ward und ihre Familie geschändet hat, und die sich verstecken müßte, wenn sie Verstand hätte!‹ Ich will nicht, daß man je einem der Meinigen vorrücke, ich habe mich freiwillig dem Kammerdiener hingegeben. Mein Tod mache der ganzen Welt bekannt und gebe das sicherste Zeugnis, daß, wenn auch mein Leib mit Gewalt geschändet ward, meine Seele doch rein und unbefleckt geblieben ist. Diese wenigen Worte wollte ich Euch sagen, damit Ihr das Ganze meinen armen Eltern erzählen und sie versichern könnt, daß ich nie meine Zustimmung dazu gegeben habe, die schändlichen Lüste des Kammerdieners zu befriedigen. Lebt in Frieden!«
    Nachdem sie diese Worte gesprochen hatte, ging sie hinaus und eilte dem Oglio zu; ihr Schwesterchen lief hinter ihr drein und weinte, ohne zu wissen warum. Sobald Giulia den Fluß erreicht hatte, stürzte sie sich köpflings in die Tiefe des Oglio. Auf das Weinen der Schwester, die laut zum Himmel schrie, liefen viele herbei, aber zu spät. Giulia war vorsätzlich in den Fluß gesprungen, um sich zu ertränken; sie gab sich keine Hilfe und war plötzlich in den Wellen verschwunden.
    Der Herr Bischof und die gnädige Frau ließen, als sie von dem kläglichen Ereignis hörten, die Unglückliche aufsuchen. Unterdessen ergriff der Kammerdiener, der den Reitknecht zu sich rief, die Flucht. Die Leiche ward aufgefunden; die Ursache, weshalb sie sich ertränkt hatte, ward bald bekannt, und alle Frauen und ebenso die Männer des Landes ehrten ihr Andenken mit allgemeinem Klagen und Weinen. Der hochwohlgeborene und hochwürdigste Herr Bischof ließ sie auf dem Markte (da sie in geweihtem Boden nicht beerdigt werden durfte) in eine Gruft legen, die sich noch dort befindet, mit dem Vorsatz, sie in einem ehernen Sarge beizusetzen und diesen auf die Marmorsäule zu stellen, die noch auf dem Markte zu sehen ist.
    Und in Wahrheit verdient diese Giulia nach meinem unmaßgeblichen Urteil kein geringeres Lob als die römische Lukretia und ist ihr vielleicht (alles genau überlegt) noch vorzuziehen. Nur die Natur ist anzuklagen, daß sie einem so hohen edeln Geiste wie Giulias keine vornehmere Geburt anwies. Doch jeder muß ja für edel gelten, der ein Freund der Tugend ist und die Ehre allem in der Welt vorzieht.

Bedenkliche Beichte
    Mailand ist, wie ihr alle wißt und täglich sehen könnt, eine Stadt, die in Italien wenige ihresgleichen hat in Beziehung auf alles, was erfordert wird, um eine Stadt edel, volkreich und wohlhabend zu machen; denn wo die Natur es hat fehlen lassen, da ist der Fleiß der Menschen ergänzend eingetreten, so daß in nichts, was zum Leben notwendig ist, etwas zu wünschen übrigbleibt. Ja,

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