Italienische Novellen, Band 1
kaufen wollen und ihm deshalb Anträge gemacht, aber stets war ihm dies fehlgeschlagen: denn der arme Mann, der es, so gut er konnte, bestellte und so seinen Unterhalt gewann, hätte lieber sich selbst als sein Stück Land verkauft. Da nun der reiche Bürger sah, daß er in Güte nicht zu seinem Zwecke gelangen könne, gedachte er Gewalt zu gebrauchen, und da nur ein kaum merklicher Graben zwischen seinem Grundstück und dem des Armen die Grenze bildete, so pflügte er alle Jahre, wenn er sein Feld bestellen ließ, einige Furchen darüber hinaus, wodurch er ihn jährlich um mehr als Armeslänge verkürzte. Der arme Mann, der das wohl bemerkte, wagte es doch nicht, ein Wort zu sagen, außer daß er einigen Freunden heimlich sein Leid klagte. In einigen Jahren aber rückte die Sache so weit vorwärts, daß er in kurzer Zeit sein ganzes Eigentum allmählich eingebüßt haben würde, wenn nicht ein Kirschbaum auf seinem Felde gestanden hätte, den zu überschreiten doch allzugewagt schien, weil jedermann wußte, der Kirschbaum stehe auf dem Felde des Armen.
Der gute Mann, der sich so berauben sah, wollte vor Unmut und Ärger vergehen; da er sich aber nicht beschweren, ja nicht einmal murren durfte, steckte er sich eines Tages, wie ein Verzweifelter, zwei Goldgulden in Scheidemünze in die Tasche und lief zu allen großen Kirchen in Faenza, wo er sich für Geld und gute Worte versprechen ließ, daß zu einer gewissen Stunde zwischen der Vesper und None alle Glocken geläutet werden sollten.
So geschah es wirklich: die Geistlichen nahmen das Geld an, und zur bestimmten Stunde erklangen alle Glocken in hellem Geläute, so daß alles aufhorchte und einer den andern ansah und fragte: »Was bedeutet das?«
Unterdessen lief der arme Mann wie außer sich durch die Straßen. Ein jeder, der ihn sah, rief ihm zu: »Heda, was lauft Ihr? Weshalb läuten die Glocken?« Er aber antwortete: »Weil die Gerechtigkeit gestorben ist«, und an einer andern Stelle gab er zur Antwort: »Für die Seele der Gerechtigkeit, welche gestorben ist.« Und so verbreitete er diese Antwort mit dem Schall der Glocken durch die ganze Stadt, so daß endlich der Fürst, als er fragte, warum die Glocken läuteten, zur Antwort erhielt: Man wisse keinen andern Grund als den, welchen ein gewisser Mann angebe, den man durch die Stadt laufen sehe. Darauf schickte der Fürst nach ihm, und er gestellte sich nicht ohne große Furcht.
Als der Fürst ihn erblickte, redete er ihn an: »Nun sprich, was soll das heißen, was du in der ganzen Stadt aussprengst, und was bedeutet das Glockengeläute?« Er antwortete: »Mein Gebieter, ich will es Euch sagen; zuvor aber bitte ich, laßt mich Euch empfohlen sein! Euer Bürger N. N. hat meinen Acker kaufen wollen; da ich ihn aber nicht verkaufen wollte, hat er mir alle Jahre, wenn er sein Feld bestellen ließ, bald eine, bald zwei Ellen abpflügen lassen, bis er an einen Kirschbaum gekommen ist: denn da konnte er nicht weitergehen, wenn es nicht zu auffallend werden sollte. Gott habe ihn selig, der ihn gepflanzt hat! Wenn er nicht dagewesen wäre, so hätte mein Nachbar jetzt das ganze Land. Da mir nun von einem so reichen und mächtigen Mann mein Eigentum genommen wurde und ich ein armer Teufel bin, so entschloß ich mich nach langem Kummer und Leidwesen aus lauter Verzweiflung, jene Kirchen zu bezahlen, damit sie für die Seele der gestorbenen Gerechtigkeit läuten möchten.«
Als der Fürst dies Witzwort vernahm und hörte, welchen Raub der reiche Bürger verübt hatte, ließ er diesen herbeiholen, und als sich die Wahrheit der Beschuldigung erwies, gab er dem armen Mann nicht nur sein Eigentum zurück, sondern schickte auch Feldmesser dahin, welche ihm von dem Acker des reichen Mannes so viel zumessen mußten, als ihm dieser abgepflügt hatte. Überdies ließ er ihm die zwei Goldgulden zurückzahlen, die er für das Läuten der Glocken ausgelegt hatte.
Ser Giovanni Fiorentino
Um 1378
Galganos Entsagung
In Siena war ein Jüngling mit Namen Galgano, reich und von edlem Geschlechte, geschickt und durchaus in allem erfahren, mannhaft, rüstig, hochherzig, höflich und leutselig gegen jedermann. Dieser Galgano liebte eine Edelfrau aus Siena mit Namen Madonna Minoccia, die Gattin eines edeln Ritters, welcher Messer Stricca hieß. Darum trug besagter Galgano beständig an den Kleidern und sonst das Wahrzeichen seiner ebengenannten Geliebten und machte ihr zuliebe oftmals Turniere und Waffenspiele mit und veranstaltete
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