Italienische Novellen, Band 1
der Mühe unterziehen wollt, die Sache zu Ende zu führen, so daß der brave Mann nicht sein Leben einbüßt, so würdet Ihr Euch die Gunst und die Liebe des wackersten Jünglings erwerben, der je geboren wurde, und zugleich die aller Leute dieser Stadt.«
Hiernächst ließ der Richter eine Aufforderung bekanntmachen, wer irgendeine Rechtsfrage zu schlichten habe, der solle zu ihm kommen; und so wurde auch Herrn Giannetto gesagt, es sei ein Richter von Bologna angekommen, der sich jeden Handel zu schlichten erbiete. Darum sagte Herr Giannetto zu dem Juden: »Wir wollen zu diesem Richter gehen!«
»Meinetwegen«, sagte der Jude; »es mag kommen, wer will, ich habe in jedem Falle das Recht, zu tun, was mein Schein besagt.«
Als sie vor den Richter traten und ihm die schuldige Ehrerbietung bezeugten, erkannte der Richter den Herrn Giannetto sogleich, nicht ebenso aber Herr Giannetto den Richter, denn der letztere hatte vermittels gewisser Kräuter seine Gesichtszüge unkenntlich gemacht. Herr Giannetto und der Jude trugen jeder seine Sache und die Gründe dem Richter vor; dieser nahm den Schein, las ihn und sagte darauf zu dem Juden: »Ich wünschte, du nähmest diese hunderttausend Dukaten und gäbest diesen guten Mann los, der dir überdies immer dafür verpflichtet sein wird.«
»Daraus wird nichts«, antwortete der Jude.
»Aber«, sagte der Richter, »es wäre dein Bestes.«
Der Jude dagegen beharrte darauf, er wolle sich auf nichts von alledem einlassen. Darauf begaben sie sich insgesamt zu dem Gerichte, das über dergleichen Fälle gesetzt ist, und der Richter verlangte nach Herrn Ansaldo und sagte: »Nun laßt ihn vortreten!«
Als er erschienen war, sagte der Richter: »Wohlan, nimm ihm ein Pfund Fleisch, wo du willst, und bringe deine Sache zu Ende!«
Da hieß ihn der Jude sich nackt ausziehen und nahm ein Rasiermesser in die Hand, das er zu diesem Zwecke hatte machen lassen. Herr Giannetto aber wandte sich zu dem Richter und sagte: »Herr, darum habe ich Euch nicht gebeten.«
Der Richter antwortete: »Sei getrost, er hat das Pfund Fleisch noch nicht herausgeschnitzelt.«
Gleichwohl trat der Jude auf ihn zu. Da sprach der Richter: »Hab wohl acht, daß du es recht machst! Denn wenn du mehr oder weniger als ein Pfund nimmst, so lasse ich dir den Kopf abschlagen. Ferner sage ich dir auch, daß, wenn er dabei nur ein Tröpfchen Blut verliert, du gleichfalls des Todes bist, denn deine Papiere besagen nichts von Blutverlust; auch sprechen sie, daß du ihm ein Pfund Fleisch nehmen darfst, und sonst heißt es von nichts mehr und nichts minder. Darum, wenn du klug bist, ergreifst du die Maßregeln, von welchen du glaubst, daß sie zu deinem Besten gereichen.«
Und sogleich schickte er nach dem Scharfrichter und ließ ihn Pflock und Beil mitbringen und sprach: »Sowie ich nur ein Tröpfchen Blut herausfließen sehe, lasse ich dir den Kopf abschlagen.«
Da bekam der Jude Furcht, Herr Giannetto aber fing an, sich wieder zu erheitern. Endlich nach vielem Hinundherreden begann der Jude: »Herr Richter, Ihr seid klüger als ich. So laßt mir denn jene hunderttausend Dukaten zahlen, und ich bin zufrieden.«
Der Richter aber sagte: »Ich will, daß du dir ein Pfund Fleisch nimmst, wie dein Schein besagt, denn Geld sollst du nicht einen Pfennig erhalten. Du hättest es nehmen sollen, als ich es dir anbot.«
Der Jude stieg herab zu neunzigtausend, dann zu achtzigtausend Dukaten, aber der Richter blieb nur immer fester auf seinem Ausspruch. Da sprach Herr Giannetto zu dem Richter: »Geben wir ihm, was er verlangt, wenn er nur Herrn Ansaldo freiläßt!«
Der Richter aber versetzte: »Ich sage dir, laß mich gewähren!«
Darauf begann der Jude: »So gebt mir fünfzigtausend Dukaten!«
Der Richter dagegen antwortete: »Ich gebe dir nicht den schlechtesten Stüber, den du je gesehen.«
»So gebt mir«, fuhr der Jude fort, »wenigstens meine zehntausend Dukaten! Verflucht sei Luft und Erde!«
Der Richter aber erwiderte: »Verstehst du mich nicht? Nichts will ich dir geben. Willst du ihm ein Pfund Fleisch nehmen, so nimm es! Wo nicht, so lass' ich deine Papiere aufheben und vernichten.«
Darob waren alle Anwesenden über die Maßen vergnügt. Jeder verspottete den Juden und sprach: »Wer andern eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.«
Als nun der Jude sah, daß er das nicht erreichen konnte, was er wollte, nahm er seine Papiere und zerriß sie voll Ärger, und so ward Herr Ansaldo frei, und Herr Giannetto
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