Italienische Novellen, Band 1
rastet nicht, bis Ihr in Venedig seid! Und wenn er noch am Leben ist, so führt ihn mit Euch hierher!«
Sofort ließ er plötzlich in die Trompete blasen, stieg zu Pferd mit zwanzig Begleitern, nahm hinlänglich Geld mit und schlug den Weg nach Venedig ein.
Unterdessen hatte der Jude, da die Frist verlaufen war, den Herrn Ansaldo festnehmen lassen und wollte ihm ein Pfund Fleisch vom Leibe schneiden. Da bat ihn Herr Ansaldo um die Vergünstigung, daß er seinen Tod noch um einige Tage verschiebe, damit, wenn sein Giannetto komme, er ihn wenigstens noch sehen könne.
Der Jude sagte: »Ich bin es zufrieden, Euch Euren Wunsch in betreff des Aufschubs zu gewähren. Aber wenn er hundertmal käme, so ist es meine Absicht, Euch ein Pfund Fleisch aus dem Leibe zu nehmen, wie die Papiere besagen.«
Herr Ansaldo versetzte, er sei es zufrieden. Da sprach ganz Venedig von dem Falle; aber ein jeder hatte Mitleid, und viele Kaufleute vereinigten sich, um die Schuld zu bezahlen; aber der Jude wollte davon nichts wissen, sondern wollte den Mord begehen, um sagen zu können, daß er den größten Kaufmann der Christenheit ums Leben gebracht habe.
Indem nun Herr Giannetto eilends heranreiste, zog ihm seine Gemahlin gleich nach, und zwar als Richter verkleidet mit zwei Dienern. In Venedig angelangt, begab sich Herr Giannetto in das Haus des Juden, umarmte Herrn Ansaldo mit vieler Freude und sagte darauf dem Juden, er wolle ihm sein Geld geben, ja noch mehr, soviel er verlange. Der Jude aber antwortete, er wolle gar kein Geld, da er es nicht zur rechten Zeit erhalten habe, vielmehr wolle er ihm ein Pfund Fleisch vom Leibe nehmen. Hier erhob sich nun ein großer Streit, und jedermann gab dem Juden unrecht. Da man aber bedachte, daß es in Venedig allenthalben rechtlich zugehe, und daß der Jude seine Ansprüche in vollgültiger gesetzlicher Form begründet hatte, so wagte ihm niemand anders als mit Bitten zu widersprechen. Darum begaben sich alle Kaufleute Venedigs dahin, um den Juden zu bitten; er aber bestand nur immer hartnäckiger auf seiner Forderung. Nun erbot sich Herr Giannetto, ihm zwanzigtausend Dukaten zu geben, aber er wollte nicht; dann kam er auf dreißigtausend, und dann auf vierzigtausend und auf fünfzigtausend, und so stieg er auf bis auf hunderttausend Dukaten. Endlich sprach der Jude: »Weißt du was? Wenn du mir mehr Dukaten anbötest, als diese Stadt wert ist, so würde ich mich doch damit nicht abfinden lassen; vielmehr verlange ich einzig das, was meine Papiere besagen.«
Und so standen die Verhandlungen, siehe, da kam in Venedig diese Dame an, als Richter gekleidet, und stieg in einem Gasthause ab. Der Wirt fragte einen Diener: »Wer ist dieser edle Herr?«
Der Diener war bereits von der Frau unterrichtet, was er sagen solle, wenn er nach ihr gefragt würde, und antwortete: »Es ist ein rechtsgelehrter Edelmann, der von Bologna kommt, wo er studiert hat, und nun in seine Heimat geht.«
Als der Wirt dies vernahm, tat er ihm viele Ehre an, und während der Richter bei Tisch saß, sagte er zu dem Wirte: »Wie ist denn das Regiment hier in eurer Stadt?«
Der Wirt antwortete: »Nur allzu gerecht, edler Herr.«
»Wieso?« fiel der Richter ein.
»Das will ich Euch sagen, edler Herr«, entgegnete der Wirt. »Es kam einmal von Florenz ein Jüngling hierher, welcher Giannetto hieß, und ging hier zu einem seiner Taufpaten, namens Herr Ansaldo, und er betrug sich so artig und gesittet, daß in der ganzen Stadt Männer und Frauen ihm zugetan waren; ja, es ist nie ein Fremder bei uns so allgemein beliebt gewesen wie er. Dieser sein Taufpate nun rüstete ihm dreimal ein Schiff aus, und diese drei Schiffe waren vom größten Werte; aber jedesmal war er damit unglücklich, so daß es ihm zuletzt an Geld zur Ausrüstung des Schiffes fehlte. Daher borgte jener Herr Ansaldo zehntausend Dukaten von einem Juden unter der Bedingung, daß, wenn er sie ihm nicht bis zum Sankt-Johannis-Tag im nächstkünftigen Monat Juni zurückgegeben habe, der besagte Jude ihm ein Pfund Fleisch vom Leibe schneiden dürfe, wo es ihm beliebe. Nun ist zwar glücklicherweise der Jüngling zurückgekehrt und hat sich erboten, statt der zehntausend Dukaten hunderttausend zu zahlen, aber der arglistige Jude will nicht. Es sind alle rechtschaffenen Leute der Stadt zu ihm gegangen, um ihn mit Bitten zu erweichen, aber es hilft nichts.«
Darauf antwortete der Richter: »Dieser Handel ist leicht zu schlichten.«
Der Wirt versetzte: »Wenn Ihr Euch
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