Italienische Novellen, Band 1
unter Tränen Abschied. Das Schiff ging unter Segel und trug in kurzer Zeit die trauernde Frau nach Genua. Dort verkaufte sie einige Kleinodien, die sie bei sich hatte, nahm zwei Ammen und zwei Kammerfrauen an und verfügte sich weiter nach Rom, wo sie ihre zwei Söhne sehr sorgfältig erziehen ieß. Der eine hieß Carlo, der andere Lionetto. Sie lebte in sittsamer Zurückgezogenheit und widmete sich der Erziehung dieser ihrer Söhne, die an Tugend und Alter wuchsen und alle, die sie kannten, in Erstaunen setzten. Die Mutter ließ sie von guten Lehrmeistern unterrichten, und sie mußten alle schönen Wissenschaften lernen, die Edelleuten zu wissen ziemt. Als sie heranwuchsen, brachte sie sie auch an den päpstlichen Hof, ohne zu sagen, wessen Söhne sie waren. Als der Papst von dem frommen und sittsamen Leben dieser Frau hörte und die Schönheit und das anständige Betragen dieser ihrer Söhne sah, liebte er sie sehr und gab ihnen ein reichliches Einkommen, so daß sie Diener und Pferde halten und stattlich leben konnten.
Nun wollte der Papst einen Kreuzzug anstellen gegen die Sarazenen im Heiligen Lande und bot alle Könige und Herren der Christenheit auf, worunter er den König von Frankreich und den König von England namentlich nannte, sie möchten in eigener Person nach Rom kommen, um ihren Rat zu vernehmen in Betreff dieses Zuges. So fanden sich denn die beiden Könige auf Befehl des Papstes in Rom ein. Vorher ist aber noch zu wissen, daß der König von England, als er von der Wiedereroberung der aufständischen Insel zurück in London anlangte, den Vizekönig gleich nach seiner Frau und seinen Kindern fragte. Er erhielt zur Antwort, es sei mit ihnen nach dem Inhalt seines Briefes verfahren worden, ja er habe noch weniger getan: denn während er ihm geschrieben habe, er solle sie umbringen, habe er sie nur weggeschickt, und zum Zeugnis dessen zeigte er ihm die Briefe. Darüber war denn der König sehr erschrocken und wollte wissen, wer solches veranlaßt habe. Als er sich überzeugt hatte, daß seine Mutter daran schuld sei, ermordete er sie in der Aufregung des Zornes und schickte dann nach vielen Ländern hin, um seine Gemahlin zu suchen, und als man ihm meldete, sie habe ihm zwei so schöne Söhne geboren, wollte er umkommen vor Schmerz, und es dauerte lange Zeit, bis man wieder mit ihm sprechen konnte; heiter aber wurde er nie wieder, so groß war seine Liebe zu der Frau, die er so elendiglich verloren hatte. Als er nun diesen Befehl vom Papste erhalten hatte, sich mit dem König von Frankreich nach Rom zu verfügen, reiste er ab, begab sich nach Frankreich und setzte dann in Begleitung des Königs von Frankreich seinen Weg nach Rom fort, wo sie vom Papste sehr liebevoll aufgenommen wurden.
Während sie nun in Rom umhergingen, wurden sie von der Frau erkannt, der eine als ihr Bruder (denn der Vater war unterdessen gestorben), der andere als ihr Gemahl. Da stellte sie sich dem Papste vor und sprach: »Seligster Vater, Eure Heiligkeit weiß, daß ich Euch niemals eröffnen mochte, von wem diese meine Söhne abstammen, und wer ich bin. Jetzt aber ist die Zeit gekommen, um eines wie das andere zu tun. So soll es denn geschehen, und mag daraus erfolgen, was Eurer Heiligkeit gut dünkt. So wisse denn Eure Heiligkeit, daß ich die Tochter des früheren Königs von Frankreich bin und die Schwester dessen, der gegenwärtig in Rom sich aufhält. In meinem kecken Übermut bin ich, weil mein Vater mich an einen alten Mann gegen meine Neigung vermählen wollte, davongelaufen und nach England in ein Kloster gegangen. Als aber der König von England mich erblickte, faßte er Liebe zu mir und nahm mich zur Frau, ohne zu wissen, wer ich war. Nach kurzer Zeit gebar ich ihm diese zwei Kinder; er aber, der damals aus dem Reiche abwesend war, gab den Befehl, mich mit den armen Knaben umzubringen, die er nicht als die seinigen anerkannte. Durch Vermittelung eines seiner Beamten gelang es mir jedoch zu entkommen, und ich floh hierher, wo ich seitdem der Erziehung der unglücklichen Söhne lebte, wie Eure Heiligkeit weiß.«
Hier schwieg sie. Der Papst sprach ihr Mut zu und entließ sie. Sodann schickte er nach den zwei Königen und den Söhnen und sprach zu dem König von Frankreich also: »Kennt Ihr diese Knaben, durchlauchtiger König?«
Dieser erwiderte: »Fürwahr, nein.«
Er fragte ebenso den andern und erhielt die gleiche Antwort. Da wandte sich denn der Papst zu dem König von England und zu dem andern, tat ihnen
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