Italienische Novellen, Band 1
den Stand der Sache kund und stellte sie beiden, dem einen als Söhne, dem andern als Neffen vor. Sie nahmen sie mit der größten möglichen Freude und Heiterkeit auf, und als sie nach der Mutter fragten, ließ der Papst sie kommen. Als sie eintrat, umarmte sie aufs herzlichste ihren Bruder, ohne ihren Mann zu beachten. Auf die Frage, warum sie das tue, antwortete sie: »Dazu habe ich wohl Grund nach der Grausamkeit, mit der du gegen mich verfahren bist.« Der König erzählte ihr weinend, wie die Sache gegangen sei, wer die Schuld trage, und welche Rache er dafür genommen. Nun ließ sich die Frau die Entschuldigung gefallen, und sie waren höchst erfreut und verweilten in dieser Freude in Rom mehrere Tage auf das heiterste. Als sie nun aber der Papst von dem Befehle eines Kreuzzuges entbunden, ordneten sie ihre Abreise an. Die Frau sagte zu ihrem Mann: »Ich gebe dir diese Jünglinge als deine Söhne und befehle sie dir. Geh hin mit Gott! Ich will hier bleiben zum Heil meiner Seele und mich von der Welt zurückziehen.«
Ihr Gemahl antwortete, er werde nimmermehr von Rom abreisen ohne sie, und so entstand zwischen ihnen ein heftiger Streit. Aber der Papst und der König von Frankreich, ihr Bruder, baten sie so lange, bis sie mit ihrem Gatten die Rückreise antrat, und so war dieser der glücklichste Herr von der Welt. Sie nahmen Abschied vom Papste, reisten hinweg und begaben sich mit dem König von Frankreich nach Frankreich, wo große Festlichkeiten angestellt wurden, und von dort gingen sie weiter nach England.
Die Vergiftung
In der Romagna lebte vorzeiten ein sehr reicher Edelmann, der einen durch Kenntnisse und jeden andern Vorzug geschmückten Sohn besaß. Als dessen Mutter gestorben war, hatte der Vater sich eine andere Frau beigetan und mit ihr einen zweiten Sohn gezeugt, der bereits zwölf Jahre alt war, als der ältere Sohn zweiundzwanzig zählte. Die Stiefmutter nun, mehr mit Reizen als mit guten Sitten geschmückt, ließ sich von der Schönheit des Stiefsohnes so sehr blenden, daß sie sich heftig in ihn verliebte. Dieses Weib hüllte zwar diese Liebe in tiefes Schweigen, solange im Beginne noch ihre Kräfte der Sache gewachsen waren; als aber die fluchwürdige Glut ihr Mark und Leben durchdrang, sah sie sich genötigt, der Liebe nachzugeben; sie stellte sich körperlich leidend, um die Wunde des Herzens zu verdecken, und tat, als wäre sie von einem schleichenden Fieber befallen. Am Ende nun ließ sie, getrieben von ihren feurigen Wünschen, durch eine Dienerin ihren Stiefsohn rufen. Dieser, der an alles andere dachte als an so etwas, trat in ihr Gemach und befragte sie mit freundlicher Miene um die Ursache ihrer Krankheit. Diese Worte kamen der Frau eben recht; sie ward etwas kühner, bedeckte ihr Gesicht aus Scham mit einem Bettuche und hub an, indem sie ihre Worte mit einer reichen Masse von Tränen begleitete, also zu sprechen: »Die Ursache und der Anfang meines jetzigen Übels und meines so heftigen Schmerzes, aber auch meine Arzenei und Heilung – das bist du selber. Diese deine glänzenden Augen sind durch meine Augen bis in die Kammern meines Herzens gedrungen und haben in meinem armen Busen ein solches Feuer entzündet, daß ich es nicht mehr aushalten kann. Habe daher Erbarmen mit einem Weibe, das um deinetwillen umkommt! Laß dich nicht zurückschrecken von dem Verwandtschaftsbande mit deinem Vater: denn du kannst ja derjenige werden, der ihm seine arme Gattin erhält, die ohne deinen Beistand ihr Leben nicht mehr fristen kann, die in dir sein Bild wiedererkennt und in deinen Zügen und mit Recht ihren Gatten liebt. Da wir beide hier allein sind, haben wir alle Sicherheit und Bequemlichkeit, die du verlangst. Was geschieht, ohne daß es jemand erfährt, ist fast ebenso gut, als wenn es nicht geschähe.«
Dem wohlgesitteten Jüngling schwindelte es ganz vor Entsetzen, als er dieses empörende Ansinnen vernahm; aber obgleich er diese greuliche Sünde so höchlich verabscheute, daß er gerne ihr aus den Augen gegangen wäre, ohne ihr weiter zu antworten, so schien es ihm doch nach besserer Überlegung nicht geraten, sie mit einer so plötzlichen abschlägigen Antwort aufzubringen; vielmehr dachte er, es wäre passender, sie durch einen Aufschub hinzuhalten, um zu versuchen, ihr einen so unreinen und seltsamen Gedanken aus dem Sinne zu schlagen. Darum antwortete er ihr, sie solle nur sorgen, gesund zu werden, und gutes Muts sein; er verspreche ihr, ihre Liebe aufs beste zu belohnen. Mit
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