Italienische Novellen, Band 1
diesen Worten beschwichtigte er sie für den Augenblick. Da nun der Jüngling bei sich erwog, daß bei einer so außerordentlichen Not auch eine ungemeine Abhilfe nötig sei, so erachtete er es für angemessen, die ganze Sache einem verständigen Greise anzuvertrauen, bei dem er seine Kindheit nützlich zugebracht hatte, und der noch jetzt ihn durch die Fährnisse der Jugend leitete. Der Meister wußte wohl, was ein rasendes Weib vermag, und glaubte daher, man müsse mit schnellen Schritten dem drohenden Sturme des grausamen Schicksals entfliehen. Doch ehe noch die kluge Überlegung ins Werk gesetzt werden konnte, wußte das ungeduldige junge Weib, der ein einziger Tag in Erwartung auf die Erfüllung ihres schändlichen Verlangens so lang währte wie ein Jahr, es dahin zu bringen, daß sie ihrem Mann die Ansicht einredete, es wäre gut, wenn er auf eine ihrer Besitzungen ginge, da sie gehört habe, es gehe dort nicht so zu, wie es sollte; auf diese Art trieb sie ihn auf mehrere Tage aus dem Hause.
Als der Gatte fort war, belästigte sie stündlich den Jüngling mit der Mahnung, er solle sein Versprechen erfüllen. Dieser aber ergriff bald diese, bald jene Entschuldigung und legte es darauf an, ihre Lust so lange mit Worten zu befriedigen, bis er sich durch eine von ihm beabsichtigte lange Reise aus ihrem Bereiche entfernen könnte. Die Frau, welche die starke Hoffnung mehr als gewöhnlich ungeduldig gemacht, und welche an den bedeutungslosen Entschuldigungen gemerkt hatte, daß er, je mehr er versprach, um so mehr sich von der Erfüllung von irgend etwas entfernte, wurde unwillig und verwandelte plötzlich die verbrecherische Liebe in einen noch weit ruchlosern Haß. Sie beriet sich mit einem ihrer Diener, dem sie großes Vertrauen schenkte, welchen Weg sie einschlagen müsse, um sich an ihm zu rächen, der ihr seine Zusage nicht halten wollte; und sie beschlossen endlich, dem armen Jüngling mit Gift das Leben zu nehmen. Der bübische Diener zögerte nicht, diesen grausamen Vorsatz zur Ausführung zu bringen, sondern ging alsbald aus dem Hause und kehrte erst abends spät zurück mit einem Getränk in einem Becher; er vermischte es in dem Schlafzimmer der Frau mit Wein und stellte es in einen Schrank, wo sich die Eßwaren befanden, mit der Absicht, es am folgenden Morgen beim Frühstück dem unglücklichen jungen Manne vorzusetzen.
Das Schicksal aber wollte es anders, und der Sohn jenes bösen Weibes, der, wie gesagt, zwölf Jahre alt war, kam am Morgen aus der Schule zurück, verzehrte einen kleinen Imbiß und fühlte darauf Durst. Da ihm nun jenes Glas mit dem giftigen Gebräu in die Hände fiel, das aus Fahrlässigkeit in dem Schrank unverschlossen stehengeblieben war, trank er es ganz aus und sank bald darauf wie tot zu Boden. Als das Gesinde diesen Fall bemerkte, machte man Lärm; die Mutter lief hinzu, und man kam gleich auf den Gedanken, der Knabe sei vergiftet. Die Mutter ging mit dem Diener, der das Getränk gekauft hatte, beiseite; sie sprachen heimlich miteinander und beratschlagten, die Schuld des Verbrechens auf den altern Sohn zu schieben. Infolgedessen erklärte der Diener öffentlich, er wisse gewiß, daß der ältere Sohn es sei, der die Untat begangen habe: denn er habe ihm vor wenigen Tagen erst fünfzig Taler versprochen, wenn er ihn umbringen wolle; da er jedoch hierzu sich nicht herbeigelassen habe, so habe jener ihm mit dem Tode gedroht, wofern er irgend jemand etwas davon sage. Die Frau ließ alsbald Häscher kommen und kraft der von dem Knechte gemachten Anzeige ihren Stiefsohn ins Gefängnis führen. Darauf schickte sie einen Boten an ihren Gatten, um ihn von dem Vorfall in Kenntnis zu setzen.
Ihr Gemahl kam sogleich herbei, und sie ließ ihm von dem Diener das Zeugnis vorsagen, das er schon früher abgelegt hatte. Sodann fügte sie selbst hinzu, sein Sohn habe dies getan, weil sie seinem wollüstigen Begehren nicht habe Folge geben wollen, und er habe sie überdies auch mit dem Tode bedroht. Der unglückliche Vater beklagte sich heftig, als er sah, wie man den jüngsten Sohn zu Grabe trug, während der andere als Brudermörder der Todesstrafe verfallen sei; und getäuscht von dem heuchlerischen Jammergeschrei seiner Frau, entbrannte sein Zorn immer mehr gegen seinen Sohn. Kaum war die Leichenfeier zu Ende, als der beklagenswerte Vater vom Grabe hinwegeilte und so, wie er war, mit verweintem Gesicht nach dem Rathause ging, woselbst er mit Tränen und inständigen Bitten auf den Tod
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