Italienische Novellen, Band 2
wohnt?«
Darauf antwortete ihm aber Meister Raimondo nicht, denn er wollte es nicht verraten.
»Lieber Meister Raimondo«, sagte hierauf Nerino, »wenn Ihr es mir nicht sagen wollt, wer sie ist, und wo sie wohnt, so versprecht mir wenigstens, daß ich sie noch einmal zu sehen bekomme!«
»Recht gern«, antwortete Raimondo. »Kommt morgen wieder her in die Kirche, so will ich machen, daß Ihr sie wie heute sehen könnt.«
Darauf begab sich Meister Raimondo nach Hause und sprach zu seiner Frau: »Genobbia, morgen früh halte dich bereit: denn ich will, daß du zu der Messe in den Dom gehst; und wenn du dich jemals schöngemacht und prachtvoll gekleidet hast, so tu es morgen!«
Darüber verwunderte sich Genobbia von neuem, wie das erstemal; weil sie aber dem Befehl ihres Mannes Gehorsam schuldig war, tat sie, was er von ihr verlangte. Als der Morgen kam, begab sich Genobbia in reicher Kleidung und mehr als gewöhnlich geschmückt nach der Kirche. Es währte nicht lange, so kam auch Nerino, und als er sie äußerst schön sah, erglühte er so heftig in Liebe zu ihr, als nur je ein Mann für ein Weib geglüht hat. Meister Raimondo kam nun auch hinzu, und Nerino bat ihn, er möge ihm sagen, wer sie sei, die in seinen Augen so viel Reize besitze. Aber Meister Raimondo, der sich stellte, als habe er seiner Praxis wegen große Eile, wollte es ihm jetzt nicht sagen, sondern ließ den Jüngling sich in seinem Fette braten und ging lachend davon. Nerino geriet in großen Zorn wegen des Mangels an Achtung, womit ihn Raimondo zu behandeln scheine, und sprach zu sich selbst: »Du willst nicht, daß ich wissen soll, wer sie sei; aber ich werde es dir zum Trotz schon erfahren.«
Er verließ die Kirche und wartete draußen so lange, bis die schöne Frau ebenfalls aus dem Dome kam, worauf er sie ebenso bescheiden als freundlich grüßte und bis zu ihrem Hause begleitete. Da nun Nerino die Wohnung der Frau ermittelt hatte, begann er ihr den Hof zu machen und ließ selten einen Tag verstreichen, wo er nicht zehnmal vor ihrem Hause vorübergegangen wäre. Er wünschte eine Unterredung mit ihr zu haben und versank unaufhörlich in Gedanken, wie er es einrichten könne, daß er seinen Zweck erreiche und die Ehre der Frau unverletzt bleibe. Nach langem Hinundhersinnen wollte ihm kein Mittel einfallen, das ihm heilsam wäre. Er geriet aber nun so lange auf die abenteuerlichsten Einfälle, bis er die Bekanntschaft einer Alten machte, die dem Hause Genobbias gegenüber wohnte. Dieser machte er verschiedene kleine Geschenke, wodurch er ihre Freundschaft gewann, und schlich sich heimlich in ihr Haus. Das Haus dieser Alten hatte ein Fenster, das nach dem Saal von Genobbias Hause blickte; von dort aus konnte Nerino sie mit Muße betrachten, wie sie sich in ihrem Hause hin und her bewegte. Doch wollte er sich selbst nicht zeigen, um ihr keinen Anlaß zu geben, sich künftig vor seinen Blicken zu verbergen.
Als Nerino nun alle Tage auf seinem geheimen Lauschörtchen zubrachte und der heißen Flamme nicht widerstehen konnte, die ihm das Herz verzehrte, beschloß er bei sich, ihr einen Brief zu schreiben und zu einer Zeit ins Haus zu werfen, wo er ihren Mann nicht daheim glaubte. Und also tat er, ja wiederholte es mehrmals; aber Genobbia warf sie ungelesen und ohne viel Bedenken ins Feuer. Doch als sie dies mehrmals getan hatte, fiel es ihr ein, auch einmal einen zu öffnen und zu sehen, was darin stehe. Als sie ihn aufgemacht hatte, sah sie, daß der Briefschreiber Nerino, der Sohn des Königs von Portugal, sei, der sich heftig in sie verhebt habe, worüber sie erst eine Weile in Nachdenken versank, dann aber in Anbetracht des übeln Lebens, das sie bei ihrem Manne führe, guten Mut schöpfte und Nerino freundliche Bücke zuwarf, ja ihn sogar auf geschickte Weise ins Haus schaffte, wo ihr der Jüngling denn die heiße Liebe erklärte, die er zu ihr trage, und die Qualen, die er um ihretwillen stündlich erdulden müsse, ebenso die Weise, wie er sich in sie verliebt habe. Und sie, die schön, liebreizend und mitleidig war, versagte ihm ihre Liebe nicht.
Während sie nun beide in gegenseitiger Liebe vereinigt waren und verliebter Gespräche pflogen, siehe, da klopfte plötzlich Meister Raimondo an die Haustür. Als Genobbia dies hörte, hieß sie den Nerino sich auf das Bett strecken, zog die Vorhänge zu und wies ihn an, hier die Entfernung ihres Gatten abzuwarten. Raimondo trat ins Haus, steckte irgend etwas von seinen Siebensachen zu sich und
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