Italienische Novellen, Band 2
sie diese vertrauliche Unterredung bemerkte, sie sprechen von der überstandenen Belagerung und vom Kriege. Unterdessen kam der Seneschall und verkündete, die Mahlzeit sei bereit. Der König ging deshalb weg und setzte sich zu Tisch, aß aber nichts oder nur sehr wenig, da er ganz in Gedanken und seiner übeln Laune hingegeben war. Sooft er einen passenden Zeitpunkt ersah, der Frau vom Hause seine Liebe anzudeuten, warf er gierige und leidenschaftliche Blicke auf sie, und wenn er auch suchte, das kochende, hellodernde Feuer zu dämpfen, das ihn auf erbärmliche Weise versengte, so machte er es nur um so größer und verstrickte sich immer mehr in das Liebesnetz, wie ein Vogel an der Leimrute. Die Barone und andere, die diese ungewöhnliche Haltung des Königs bemerkten, wunderten sich sehr darüber; doch konnten sie die wahre Ursache nicht erraten.
Der König blieb den ganzen Tag in Salisbury, betrachtete die von den Schotten zurückgelassenen Belagerungsanstalten und sprach ausführlich darüber mit seinen Leuten, hatte aber daneben seine Gedanken beständig bei der sittsamen Antwort, die ihm die Dame gegeben hatte. Je mehr er aber die Wahrheit ihrer Gründe und die Ehrbarkeit ihrer Gesinnung achtete, desto mehr versank er in Betrübnis, ja in Verzweiflung darüber, daß er seine Absicht nicht erreichen werde, die unabänderlich dahin ging, mit ihr die Freuden der Liebe zu genießen. Es ist in der Tat merkwürdig, daß fast alle diese wollüstigen Liebhaber, wenn sie in Gesellschaft ihrer Bekannten sind, wofern sie überhaupt einige Sitte und Anstand besitzen, immer die Frauen preisen, die sie lieben, sie mit rühmenden Worten bis in den dritten Himmel erheben und nie müde werden, sie zu erhöhen und zu empfehlen. Gewöhnlich sodann, wenn sie ihnen alle Lobsprüche erteilt haben, die ihnen einfallen, als über ihre Schönheit, Anmut, Freundlichkeit, Bescheidenheit, Klugheit, Verstand, edles Benehmen und Gefälligkeit, so ist die hehrste und seltenste Tugend, die sie mit den pomphaftesten Lobpreisungen erheben und in Gesängen zu feiern sich abmühen, der an keiner Frau jemals nach Gebühr zu preisende Vorzug der Keuschheit und Sittsamkeit. Diese Tugend wird an den Frauen so sehr wertgehalten und geachtet und macht sie so schätzbar, ja wahrhaft bewundernswürdig, daß, wenn sie alle Reize und löbliche Eigenschaften besäßen, die dem weiblichen Geschlechte zukommen, und diese eine ginge ihnen ab, sie ganz und gar die Achtung und die Ehre verlieren und zu Weibern des Pöbels herabsinken. Die Liebhaber nun, so sehr sie an ihren Geliebten den kostbaren Schatz der Sittsamkeit erheben, empfinden dennoch, wenn sie durch eigene Erfahrung kennenlernen, daß sie keusch sind, darüber das größte Mißbehagen und möchten gerne, daß sie gegen alle anderen Männer im höchsten Grade sittsam, spröde und streng wären, wofern sie sich nur gegen sie gefällig und gegen ihre eigenen unehrbaren Gelüste fügsam finden ließen. Wenn sie aber die Erfüllung ihrer wollüstigen Wünsche nicht erreichen, so nennen sie jene keusche Gesinnung und jenes schamhafte Benehmen, das sie vorher immer lobten und so hoch erhoben, Grausamkeit, Hochmut und Stolz.
So machte es auch der König Eduard, als er sah, daß die Gräfin fest auf ihrem Vorsatz beharrte und sich seinen Bitten keineswegs fügte, sondern immer widerspenstiger dagegen sich zeigte, und er nannte sie einen wilden Tiger, ein eigensinniges grausames Weib. Da er wegen anderer dringender Geschäfte nicht Zeit hatte, länger in Salisbury zu verweilen, brach er in der Hoffnung, später einmal bessere Gelegenheit zur Förderung seiner Wünsche zu erhalten, am folgenden Tag mit dem frühesten auf und ging fort. Als er von der Dame Abschied nahm, sagte er leise zu ihr, er bitte sie, sich über diese Sache eines Bessern zu besinnen und Mitleid mit ihm zu haben. Sie aber antwortete ihm ehrerbietig, sie bitte Gott, diese Gedanken aus seinem Sinne zu verbannen und ihm Sieg über seine Feinde zu verleihen.
Mittlerweile war der Graf, ihr Gemahl, aus der Gefangenschaft frei geworden; kurz darauf aber, sei es infolge des erduldeten Ungemachs oder was die Ursache sein mochte, wurde er von einer sehr schweren Krankheit befallen und starb, ehe ihm noch eine Entschädigung zuteil wurde; und da er von seiner Gattin Alix keine Söhne noch Töchter erhalten noch auch sonst einen Erben hatte, der ihm hätte folgen können, so fiel die Grafschaft Salisbury wieder in die Hände des Königs zurück.
Weitere Kostenlose Bücher