Italienische Novellen, Band 3
höchsten Verwirrung ihr Herz von den Pfeilen seiner Blicke durchschossen und sich von dem Abglanze seiner Schönheit, die ihre verliebte Einbildungskraft ihrem Herzen um so näher vorhielt, je entfernter sie ihren Augen war, ganz entzündet fühlte, machte ihn nach und nach zu dem einzigen Gegenstande ihres Verlangens. Ihres Gatten völlig vergessen, hielt sie nun endlich dafür, daß die Zeit gekommen sei, wo sie mit vollem Rechte das Angedenken der Asche vernichten dürfe, die als erkaltet sich eben nicht mehr eigne, ein Herz zu erwärmen.
Unschlüssig und zweifelhaft in ihrem Innersten, sprach sie zu sich selbst: »Wenn die Liebe nicht ohne Erwiderung Bestand hat, so kann mein vom Tod überwundener Gemahl nicht länger der Gegenstand meiner lebendigen Liebe sein. Ein beerdigter Leichnam erweckt keine Liebe und Leidenschaft mehr, sondern Schrecken und Abscheu. Beliarcos Schönheit ist geeignet, marmorne Bildsäulen für sich zu entflammen, geschweige denn eine junge, liebeerfüllte weibliche Brust. Ich habe mein dreißigstes Jahr noch nicht erreicht und stehe also in der kräftigsten Blüte meines Alters, wo dann der Mensch am geeignetsten ist, die Freuden der Liebe zu genießen. Ich vermag es mir also nicht zu versagen, wieder zu lieben und eine neue Ehe einzugehen.«
Mit solcherlei trügerischen Vorspiegelungen und besonders mit dem Scheingrunde, daß ihr Mann ihr untreu geworden sei, verführte sie sich zu der Ansicht, sich der Verpflichtung gegen ihn, in der Ungewißheit seines Todes ihm ihre Keuschheit und Treue zu bewahren, für erledigt zu halten. Ihr Entschluß zu einer neuen Liebe war gefaßt. Das einzige, was ihr in der heitern Reihe solcher Gedanken lästig und störend ward, war der Anblick ihrer Tochter, die eben ihr vierzehntes Jahr erreicht hatte und schon so groß, schön und verständig geworden war, daß sie durch ihr einfaches, ungeschmücktes Wesen ihre verliebten Rasereien ihr stillschweigend vorzuwerfen schien. Ja, die verirrte Mutter ging so weit, eifersüchtig auf die erblühenden Reize der Tochter, diese mehr als ehedem eingezogen zu halten und selten oder niemals auf Bälle, öffentliche Versammlungsorte, Besuche oder Kirchenfeste mit sich aus dem Hause zu nehmen, weil sie besonders von diesen letztern sagte, daß die verderbte Jugend dabei immer weniger auf die Anbetung des Ewigen als auf den Mißbrauch des Heiligen im Götzendienste irdischer Liebe bedacht zu sein pflege, und sich also von der Mehrzahl der Mütter unterschied, die es kaum erwarten können, ihre halberwachsenen Töchter den Gefahren der Welt auszusetzen, und wohl sogar in tadelnswerter Schwäche und Eitelkeit, um mit ihnen zu prunken, ihnen selbst Anleitung geben, sich durch gefallsüchtiges Verziehen des Mundes, Verdrehen der Augen und Verrenken des Körpers Anbeter in Menge zu erwerben. Diese Gründe ließ sie sich zu Vorwänden dienen, ihrer Liebe ungestörter allein nachzuhangen, und nachdem sie sich nicht nur wiedergeliebt wußte, sondern sich sogar mit der unbeschränktesten Ergebenheit, die billigerweise von einem Liebhaber zu erwarten steht, bedient und umworben sah, auch ein ganzes Jahr lang fast mit Aufopferung ihres Lebens ihre Leidenschaft bekämpft hatte, konnte sie doch zuletzt nicht umhin, deren durch den langen Druck um so ungestümer und unaufhaltsamer gewordenem Andrange die Zügel schießen zu lassen.
Celidea besaß einen hinter ihrem Hause belegenen, sorgfältig bestellten Garten, unter dessen von ihrer Hand gepflegten seltenen Gewächsen auch einige aus dem Morgenlande stammende, einer besonders großen Pflege bedürfende Blumen blühten. Um diese Blumen zu warten und zu begießen und in der anmutigen Einsamkeit ungestört nach Beliarcos Gesellschaft seufzen zu können, begab sich das junge Weib alle Abende an diesen Ort. Daselbst erspähte sie Beliarco dereinst fast bei einbrechender Nacht durch die Spalte einer nach einem schmalen Wege führenden, andern mehr als dem Scharfblicke der Liebe verborgen gebliebenen Tür und verriet ihr durch ein leises Klopfen seine Gegenwart. Unwissend, wer es sei, öffnete sie. Das Erstaunen über sein unvermutetes Erscheinen in der Dunkelheit der Nacht benahm ihr die Kraft und Fähigkeit, sich aufrechtzuerhalten; ihr Blut strömte in eben dem Augenblicke von ihrem Herzen zurück, und sie fühlte das Bedürfnis eines Stützpunktes, den ihr Beliarco in seinen Armen lieh. Da rief sie, über die Lage erschreckend, worein sie durch die Innigkeit ihrer Gefühle, wie
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