Italienische Novellen, Band 3
Früchte pflücken, nach welchen die Liebenden sich so sehr sehnen.
Unterdessen hatte Eudosia einigermaßen dem Kitzel Genüge getan, der keinen höheren Ursprung kennt als die Sinnlichkeit. In Besorgnis, ihr Tun möchte belauscht werden, überließ sie den Grafen der Ruhe und durchspähte mit leisen Tritten das ganze Haus. Zuletzt kam sie in das Zimmer der Tochter gerade in dem Augenblicke, wo unter lautem Geräusche neckischer Küsse die Liebenden sich zu neuen Unternehmungen der Lust vorbereiteten. Es erschien ihr auffallend, daß ihre Tochter in so zartem Alter die Keckheit gehabt habe, sich den Umarmungen eines Liebhabers preiszugeben. Doch war sie der Meinung, daß Verirrungen der Liebe alles Mitleid verdienen, und da sie sich auch desselben Vergehens schuldig fühlte, beschloß sie bei sich selbst, die fremden Fehltritte zu übersehen, um ihre eigenen nicht zu entdecken. Dessenungeachtet hätte sie gern in Erfahrung gebracht, wer der Buhle der Tochter sei, um zu sehen, ob sie durch eine würdige Wahl ihren unbesonnenen Entschluß einigermaßen zu Ehren bringe. Kaum aber hatten ihre Augen den Assirdo erblickt, als sie, getäuscht von dem Wahne, es sei ihr Liebhaber, sich ganz den Furien hingab und aussah, als wäre sie von einer Legion böser Geister gepeinigt. Sie zerschlug sich das Gesicht, raufte sich das Haar aus, klopfte sich an die Brust und unterließ keine Äußerung, um ihren Unwillen kundzutun und ihren Schmerz auszudrücken. Endlich erklärte sie unter Schmähungen und Vorwürfen ihre Leidenschaft und sprach: »Treuloser, nachdem du die Mutter genossen hast, kommst du, um die Unschuld der Tochter zu beflecken? Warum hat doch Natur und Glück diesen Verruchten, diesen Betrüger so liebenswürdig gebildet? Sind das die Versprechungen, die du kurz zuvor mir gemacht hast? Sollen diese Verrätereien dein Gelübde bekräftigen? 0 Himmel, deine Bewegung ist unnütz, dein Einfluß ist blind, wenn du nicht deine Blitze schleuderst auf diesen Gottlosen, diesen Verräter, diesen Tempelschänder!«
Als Dercella diese Worte der Mutter hörte und sich von Assirdo hintergangen glaubte, erhob sie ein so lautes Geschrei, um ihren Schmerz auszudrücken, daß sie auch Geschöpfen ohne Bewußtsein hätte Mitleid einflößen sollen. Sie sagte: »Warum, du Grausamer, die Einfalt, die Unschuld eines Mädchens verraten? Warum mich mit einem Verrat betrügen, der um so fluchwürdiger ist, je mehr er die Maske der Liebe trug? Wo, wo, du Verruchter, hast du ein so unmenschliches Verfahren gelernt, ein Verfahren, das nicht einmal die Tiere befolgen, denen von dem Himmel keine Vernunft zuteil geworden ist? Mutter, verzeih dieser Leidenschaft, die nicht daran dachte, mit ihrem Sinnentaumel das Recht der Natur zu kränken, noch die Freuden derjenigen zu beeinträchtigen, die mir das Dasein gegeben hat!«
Sie hätte noch mehr gesprochen, wenn Assirdo, der bis dahin unbeweglich wie ein Stein geblieben war, sie nicht unterbrochen hätte mit den Worten: »Dercella, wer an meiner Treue zweifelt, der kann auch zweifeln, daß er lebe. Ich erkläre mich für den Eurigen und erbiete mich, das Zeugnis meiner Rede mit der Ehe zu bekräftigen, gegen welche von meiner Seite keine Verzögerung stattfinden wird als diejenige, die aus Euerm Willen entspringen kann.«
Eudosias Unwille wuchs bei diesen Worten noch mehr, Sie verdoppelte ihr Schreien und lief hinzu, um mit ihren Händen dem Verlangen ihrer eigenen Leidenschaft zu genügen. Der Tochter aber ließ die Liebe nicht so viel Geduld, daß sie Assirdo beschimpft sehen konnte, ohne ihn zu verteidigen. Sie schlug sich ins Mittel, um die Mutter zu beruhigen; da diese aber mit jedem Augenblicke sich mehr ärgerte, war sie nahe daran, einem unsinnigen Entschlüsse Raum zu geben, hätte nicht die unvermutete Ankunft des Grafen sie zurückgehalten und verstummen gemacht. Der Graf hatte einige Zeit ungeduldig auf die Rückkehr der Geliebten geharrt, da er sie aber nicht wiedererscheinen sah, das Zimmer verlassen, um sie zu suchen, nicht ohne Ahnung, diese Verzögerung möchte das Zeichen irgendwelches Unfalls sein. Kaum hatte er das Geschrei gehört, das seinen Verdacht und seine Besorgnis gar sehr bekräftigte, als er plötzlich in das Zimmer eintrat, wo Eudosia mit Kratzen und Beißen ihre Wut und ihren Unwillen kühlte. Alle waren erstaunt über diese Erscheinung; dem Grafen aber standen die Haare zu Berg bei dem Anblick Assirdos. Da gewann Eudosia Zeit, ihn zu fragen, wie er in diesem Hause
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