Italienische Novellen, Band 3
Augen, wie einer, der zum erstenmal in eine fremde Stadt kommt, überallhin umgesehen, wendete seinen Blick jetzt dahin, wo er sich bei Namen rufen hörte, und konnte bei dem so unerwarteten Anblick des Piacentiners vor Erstaunen kein Wort hervorbringen. Am Ende stieg er jedoch von seinem Gaul, umarmte seinen alten Freund, der da, sobald über das gegenseitige Fragen und Antworten die Nacht eingebrochen war, verlangte, daß Berlaceci sein Gast in seinem Hause sei, und nahm gern diese Einladung an, weil er nach so vielen schlaflosen Reisenächten wohl eben Sehnsucht nach einem guten Bette trug. Wie sie nun zusammen zur Stadt hereingekommen waren, der Piacentiner seinen Freund in der Dämmerung nach seiner Wohnung geführt hatte und Berlaceci wahrnahm, daß diese ein kleines hölzernes, aus schlecht zusammengefügten Brettern und dem bloßen Erdgeschosse bestehendes Häuschen ohne Treppe war, das keinen andern Hausrat als vier ringsum an den Wänden festgenagelte Bänke hatte, erstarb ihm gar vor Erstaunen und Schreck das Wort im Munde über das aus einem paar gesalzenen Fischen und schwarzem Roggenbrote bestehende, auf dem nackten Fußboden aufgetragene Abendmahl. Er sagte zu seinem guten Freunde: »Es scheint mir, mein Bruder, als sei deine hiesige Lebensart und Weise, ohne daß es anderer guten Werke bedürfe, der geradeste Weg zur Seligkeit; aber ich, der ich müd und matt von meiner langen Reise bin, gedenke doch von so strengem Fasten und von solcher Buße befreit zu sein.«
Der Piacentiner verwunderte sich, wie es schien, seinerseits über Berlacecis Worte und sprach: »Kennst du denn die Sitte dieses Landes nicht? Hier in St. Petersburg sind alle Häuser, wie du morgen sehen kannst, von Holz. Das meine ist vielleicht noch eine der bequemsten Wohnungen in der ganzen Stadt. Der Zar baut jetzt für sich das erste steinerne Haus, und alle Welt bestaunt es wie ein Wunderding.«
Was bei solchen Nachrichten aus dem armen Berlaceci wurde, denkt man sich nicht leicht. Es fiel ihm erst in diesem Augenblicke wie ein Stein aufs Herz, sich auf eine solche Reise so unbedacht eingelassen zu haben. Er sah mit stummem Entsetzen, daß ihm der Weg, durch seinen unerhörten Mechanismus zu dem gewaltigen Glück zu gelangen, das er in Gedanken schon beim Schopfe hielt, ganz abgeschnitten war, und ließ willig zu, daß sein Freund, ihn weiter belehrend, sprach: »Das ist bei weitem noch nicht die schlimmste Unbequemlichkeit. Sogar eine Matratze und was außerdem zu einem Bette gehört, worauf bei uns jeder arme Wicht in seiner Schlafstätte liegen kann, sucht man umsonst in diesem Lande des Mißbehagens. Wir anderen ehrlichen Leute müssen wohl oder übel von Fischen und Ungetier unser kümmerliches Leben fristen und erlangen nicht einmal, wenn wir krank sind, einen Bissen Fleisch, weil das frostige Volk hier fast jahraus, jahrein seine strengen Fasten hält.«
Berlaceci, der als ein denkender Mann sein Unternehmen fast schon zu bereuen anfing, antwortete: »Ach, Freund, aus dem, was du mir da gesagt hast, erkenne ich, daß wir Toren sind, um der Hoffnung willen, dereinst die lästigen Tage unseres Alters mit minderer Not zu verbringen, uns die schönen Jahre unserer Jugend durch tausenderlei Sorgen zu verkümmern. Droht uns überdies nicht stete Ungewißheit, ob wir des Genusses, für den wir sammelten, auch ergraut noch fähig sind? Denn das Ungemach, was die Jugend nicht achtet, schneidet uns das Leben entweder in seiner schönsten Hälfte ab oder bringt uns in die zweite Tränen und Traurigkeit.«
Also bald schlecht gestimmt, sich der Sitte und den Gewohnheiten der Moskowiter zu fügen, dachte Berlaceci schon auf den Heimweg nach Italien, indem er seinem Freunde den Grund seiner Reise nach St. Petersburg und die Geschichte der schönen Maschine vortrug, womit er steinerne Häuser über Stock und Stein hinweg zu schaffen sich schmeichele. Es gefiel aber dem aufmerksam seiner Rede und deren phantastischen Ausschmückungen zuhörenden Piacentiner der Grundgedanke seines großen Baus so ungemein, in der Annahme, wie viele Leute ihre in der alten Stadt Moskau gelegenen Wohnungen gewiß um jeden Preis nach der neuen, noch unbehaglichen Kaiserstadt gebracht zu sehen wünschten, daß er den verzagten Baumeister ermunterte, von seinem Wagestücke ja nicht abzustehen, und ihm von seinen vielfältigen Erfahrungen goldene Berge versprach, wofern er sich mit verständigem Willen in die Umstände schicke und getrosten Mutes sei.
Berlaceci
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