Italienische Novellen, Band 3
und das Weib, furchtsamer und unvorsichtiger als Malco, war drauf und dran, einen lauten Schrei zu tun. Doch bedachte sie noch die Gefahr, in der sie schwebte; sie faßte sich plötzlich, ohne sich zu rühren, und stand ruhig und fest, als wäre sie ein Marmorbild. Auf der andern Seite wollte es wieder beiden scheinen, Gott habe sich jetzt ihrer in der höchsten Not erbarmt und ihnen solche Hilfe verliehen, wie sie selbst hätten weder erflehen noch wünschen können. Doch glaubten sie noch immer nicht vollkommen sicher zu sein, und erst als es Abend zu werden begann, wagten sie sich hervor.
Sowie sie die Höhle in ihrem Rücken hatten, bestiegen sie die beiden Kamele der Getöteten, auf welchen sie einen reichlichen Vorrat von Lebensmitteln fanden, stärkten ihre erschöpften Lebensgeister und die durch Schrecken und Ermüdung nicht minder als durch lange Entbehrung geschwächten Kräfte durch Speise und einen Strahl besserer Hoffnung, wofür sie in ihrem Herzen Gott dankten, und setzten aufs schleunigste ihre Reise in der Einöde fort, so daß sie am Abend des zehnten Tages in das römische Lager gelangten. Sie setzten dem Tribun ihre mannigfaltigen Schicksale auseinander, erzählten ihr beiderseitiges langes Mißgeschick, und nachdem sie viel davon gesprochen hatten, sandte sie der Tribun mit sicherem Geleite an Sabinus, Prokonsul von Mesopotamien, wo Malco die Nachricht erhielt, daß sein frommer Abt aus diesem Leben geschieden sei, worauf er sich mit der guten Frau, die ihm so lange Gesellschaft geleistet hatte, nach Maronia zurückzog, fortwährend die Kirchen besuchte, die Angelegenheiten dieser Welt floh und ganz dem Dienste Gottes lebte. Mit geschwisterlicher Liebe waren sich beide bis zum gebrechlichen Alter zugetan und führten ein frommes, stilles Leben. Alle diese Dinge erzählten sie den Leuten dieses Landes und dem heiligen Hieronymus, der sie aufschrieb, oftmals, nicht ohne ihren Zuhörern Tränen zu entlocken.
Francesco Argelati
1712 – 1754
Das Luftschloß
Man glaubt, daß die von dem letzten Zar Peter, dem Kaiser der Moskowiten, erbaute Stadt St. Petersburg als Hauptstadt auch die vergnüglichste und gelehrigste Stadt der weiten russischen Reiche sei.
Indem des großen Mannes Geist vorzeiten mit Gründung dieser Stadt umging, beruhten seine Gedanken nicht bloß auf den eigentlichen Dingen des Baues, sondern schweiften auch in die Gebiete der Wissenschaften, der Künste und des Handels hinüber, weil sein Bestreben war, einem barbarischen, halsstarrigen Volke zum Trotz, einen Wohnsitz der Kultur zu stiften, der würdig sei, neben den anderen das schöne Europa zierenden zu bestehen.
Der Ruhm dieses hochsinnigen Fürsten drang im Verlaufe der Zeit auch nach Italien. Es wurde allmählich da bekannt, wie aus vielen Städten nach St. Petersburg gewanderte Künstler mit offenen Armen empfangen und mit großen Vorrechten begünstigt worden waren, sobald sie sich entschlossen, diese Stadt als eine neue Heimat anzusehen. Und es erweckten solcherlei Nachrichten in vielen Menschen und unter andern auch in dem Gemüte eines jungen Mailänders das Verlangen, nach dem weitentfernten Lande in Verfolgung guten Glückes zu ziehen. Berlaceci, eben dieser junge Mann, hatte einen Oheim, einen zwar sehr gelehrten, aber schon gar zu lange Zeit in den Grenzen einer von der Stadt unfernen, ihm anvertrauten Pfarrei außer Gemeinschaft mit anderen Menschen gebliebenen Herrn oftmals sagen hören, daß er aus eigenen Verstandesmitteln die schöne Erfindung einer neuen, vielfach zusammengesetzten Maschine gemacht habe, womit er zufolge einer seither noch unerhörten Mechanik imstande sei, Häuser, Türme und steinerne Gebäude aller Art, unbeschadet ihrer Festigkeit und Dauerbarkeit, leicht von einem Orte nach dem andern zu versetzen. Er ging also eines Tages zu dem weisen Seelenhirten und trug ihm seine Bitte vor, die Liebe und Freundlichkeit für ihn zu haben, ihm das Geheimnis der Zusammenfügung einer solchen Maschine anzuvertrauen. Er hege die Absicht, in entfernte Länder zu gehen, wo schon anderen die Sonne des Glücks freundlich geschienen habe, und meine, mit einer so wichtigen Entdeckung könne auch er dort eines günstigen Schicksals gewärtig sein. Der gute Oheim lobte einen so verständigen Wunsch seines jungen Neffen und gab ihm zu verstehen, daß er gar nicht abgeneigt sei, darauf einzugehen. Indessen fand er doch in der allzu großen Jugend des Bittenden und vielleicht auch darin eine Bedenklichkeit,
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