Italienische Novellen, Band 3
übrig, als im äußersten Falle bis zum dritten Tag ausreichend war. An dem ersehnten Ufer endlich angetrieben, verwendeten sie zwar die größte Eile auf ihre Flucht, sahen sich aber bei jedem Schritte um, aus Besorgnis, verfolgt zu werden, und setzten sowohl aus diesem Grunde als wegen der glühenden Sonne, die auf ihre Häupter brannte, und aus Furcht vor andern Räubern ihre fernere Reise nur bei Nachtzeit fort. Nach dem dritten Tage eines so beschwerlichen Weges, wo sie in großer Angst bei jedem Schritte sich rückwärts kehrten und die Augen forschend in die öde Ebene richteten, ersahen sie in der Ferne zwei Menschen, denen ihr eilender Schritt das Ansehen von Verfolgenden gab. Eine Unglück verkündende Ahnung zeigte ihnen sogleich das Bild ihres ihnen auf die Spur gekommenen Herrn und erhöhte die Beklemmung und den Schrecken ihrer Gemüter ins Unendliche. Der Gedanke der sie bedrohenden unvermeidlichen Todesgefahr nahm ihnen alle Besinnung und allen Mut, und sie wußten nicht mehr, wo sie waren, noch wo sie hinsollten. Erst als sie die mit einem Male verlorene Fassung allmählich wiedergewannen, suchten sie, wenn irgend möglich, noch Rettung für ihr Leben zu erringen. Sie sahen rechter Hand eine tiefe, finstere Höhle vor sich liegen und drangen in Hast und Eile hinein. Noch waren sie aber nicht weit darin vorgedrungen, als die erste Furcht von einer noch weit größeren überwunden und übertroffen wurde; sie bedachten nämlich, daß wildes Raubgetier und giftiges Gewürm vor der ungeheuren übermäßigen Hitze an solchen schattigen Plätzen Zuflucht zu suchen pflegt; sie ersahen daher links eine Grube und kauerten sich in derselben zusammen, auf weiteres Vordringen verzichtend.
Der Herr und ein Knecht (diese beiden waren die Verfolger, die sie von ferne sahen) eilten den in den Sand geprägten Fußstapfen nach, kamen zu dem Eingang der Höhle und stiegen von den Kamelen ab, auf welchen sie ritten. Der Herr schickte zuerst den Knecht hinein, um die Flüchtigen herauszutreiben, und blieb, das entblößte Schwert in der Hand, voll Ingrimms an der Öffnung der Höhle harrend stehen. Der Knecht ging hinein, und bei der Dunkelheit des Ortes und da er gerade aus dem vollen Sonnenlichte kam, wurde er, wie es zu gehen pflegt, halb geblendet, schritt tiefer und tiefer über die Verfolgten hinaus, ohne sie zu sehen, und schrie mit starker Stimme, so laut er konnte: »Kommt heraus, ihr niederträchtigen, verruchten Knechte, die ihr aufgeknüpft zu werden verdient! Euer Herr erwartet euch, um euch verdientermaßen für eure Flucht zu züchtigen.«
Die unterirdische Höhle widerhallte von diesem ungeheuren übermäßigen Gebrüll. Ehe sich aber der elende Knecht dessen versah, siehe, da kam eine entsetzliche, grausame Löwin auf ihn zu, warf ihn in einem Augenblicke zu Boden, faßte ihn so fest an der Kehle, daß er umsonst versuchte, schwach um Hilfe zu rufen, packte ihn fest mit Zähnen und Krallen und zog ihn ganz besudelt in seinem Blute mit ihrer großen Kraft in den tiefsten, hintersten Grund der Höhle. Der Herr erwartete seinen Diener geraume Zeit und wußte sich nicht zu sagen, was ein so langes Ausbleiben bedeute. Er vermutete, die zwei möchten vielleicht dem Wehrlosen widerstanden sein; er drang wütend in der Dunkelheit in die Höhle, schrie gleichfalls heftig, schmähte auf das überlange Zögern des Knechtes und rief den zwei Flüchtigen die größten Scheltworte zu, die man nur einem Schelmen sagen könnte. Er war aber noch nicht weit über die Grube hinausgedrungen, die Malco und das Weib barg, als dieselbe Löwin, die soeben den Diener zerfleischt hatte, wütender als je ihm entgegensprang, ihn an der Gurgel packte und ihn plötzlich erwürgte. Aus Furcht jedoch, in ihrem Lager entdeckt und gefährdet zu sein, faßte sie mit den Enden ihrer Klauen ihre Löwenbrut und trug sie, unbekümmert um die zerrissenen und zerschmetterten Leichname, aus der Höhle weg. Malco und seine Gefährtin hatten, selbst unbemerkt, alles mit angesehen, und mannigfaltige, sich widersprechende Gefühle bestürmten zu einer und derselben Zeit ihre Herzen. Erst erschreckte sie nicht wenig das drohende Geschrei des Knechtes und der Anblick des bewaffneten, zu harter und grausamer Rache gerüsteten Gebieters, dann noch weit mehr das furchtbare, gräßliche Aussehen des reißenden Tieres. Jeden Augenblick glaubten sie, jetzt auch von der Löwin gefressen zu werden, so daß sich ihnen jedes Haar auf dem Kopfe emporsträubte,
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