Italienische Novellen, Band 3
Handschellen abnahmen und den Hut tief in die Augen drückten. So ließen sie ihn an den Baum gebunden und flohen mit Windeseile von dannen und auf dem kürzesten Wege, wiewohl sie ihre Fackel ausgelöscht hatten, zurück nach Camaldoli, ohne daß jemand sie bemerkt hatte.
Allein geblieben und nur schlaff und lose gebunden, spitzte Meister Manente eine Zeitlang in ängstlicher Besorgnis die Ohren, und da er nicht das mindeste Geräusch mehr um sich hörte, fing er allmählich an, die Hände an sich zu ziehen, indem er sich von seinen leichten Fesseln ohne Schwierigkeit befreite. Ebenso schob er den Hut vor seinen Augen hinweg, schlug sie empor und erblickte zwischen den Bäumen hindurch ein Stück des gestirnten Himmels, woraus er sich zu seiner größten Freude und Verwunderung überzeugte, im Freien und außerhalb des Kerkers zu sein. Er ließ die Augen umherschweifen und schaute genauer aus, denn schon begann es Tag zu werden. Da sah er die Tannen um sich her und das Gras unter seinen Füßen: so hielt er sich überzeugt, in einem Walde zu sein. Er erwartete indessen noch immer etwas Neues und Ungewöhnliches und blieb daher still und regungslos auf seinem Platze stehen und hatte kaum den Mut zu atmen, um nur nicht gehört zu werden; denn er meinte noch fortwährend, die lachenden Larven sich auf der Haube zu sehen, wie sie ihm wieder die Handfesseln anlegen und ihn von dannen führen wollen. Erst als es heller lichter Tag um ihn ward, die Sonne mit ihren leuchtenden Strahlen schon jedes Dunkel durchdrang und er weder Menschen noch Tiere in seiner Umgebung sah, faßte er das Herz, auf einem schmalen Fußpfade die steile Anhöhe vor sich emporzuklimmen, um aus diesem Tale wegzukommen, und war nun endlich seiner Sache gewiß, wieder in die Welt eingetreten zu sein. Er war nicht über eine Viertelmeile weit gegangen, so hatte er den Gipfel des Berges erreicht und kam auf eine sehr besuchte Straße, auf der er einen Fuhrmann einherkommen sah mit drei mit Getreide beladenen Mauleseln. Er ging ihm rasch entgegen und fragte ihn nach der Gegend und wie der Ort heiße, an dem er sich befinde. Der Mauleseltreiber antwortete rasch, es sei die Vernia, und fügte hinzu: »Was Teufels, bist du blind? Siehst du nicht dort San Francesco?«
Dabei wies er auf die Kirche, die am Berge stand und nicht viel über zwei Armbrustschußweiten von ihnen weg lag. Meister Manente dankte ihm, fühlte sich nun sogleich wieder in der Gegend zu Hause, die er mit seinen Freunden öfters zum Vergnügen besucht hatte, und pries und lobte Gott, indem er die Hände zum Himmel emporhob und sich wie neugeboren fühlte. Er schlug den Weg zur Rechten ein und ging in seinem roten Fischeranzuge stracks auf das Kloster zu, wo er frühzeitig ankam und einen Mailänder Edelmann antraf, der in Gesellschaft eines andern Mailänders mit Pferden und Dienern aus Florenz gekommen war, um diesen heiligen Ort zu besuchen, an dem der andächtige San Francesco Buße getan hatte. Am vergangenen Abende aber hatte er ausgleitend sich den Fuß aufgeschlagen und verrenkt und sodann durch eine zugetretene Erkältung sich in der Nacht eine Geschwulst und solche Schmerzen zugezogen, daß er sich am Morgen weder regen noch die geringste Berührung dieses Gliedes ertragen konnte, so daß er sich gezwungen sah, das Bett zu hüten. Auf Anraten der Mönche wollte er eben nach Bibbiena schicken, um einen Arzt kommen zu lassen, als Meister Manente mit einem Gruße vor sie trat und, nachdem er sich die Ursache des Übels des Edelmanns hatte sagen lassen, die Brüder versicherte, sie hätten nicht nötig, anderwärts nach Ärzten auszusenden, denn er getraue sich, den Edelmann in einer halben Viertelstunde von seinen Schmerzen zu befreien und bis zum andern Morgen gänzlich wiederherzustellen.
Wenn auch Meister Manente für einen Arzt in einem seltsamen Aufzuge erschien, so flößte sein Äußeres wie seine Rede dem Mailänder dennoch Vertrauen ein. Er ließ sich daher von den Brüdern Rosenöl und Myrtenpulver bringen, bestrich ihm die offene Wunde, richtete das ausgerenkte Bein ein, salbte ihn aufs beste, bepulverte ihm den Fuß und verband ihn sehr fest, so daß der Schmerz sogleich aufhörte und der Kranke die Nacht über ruhig schlief, während er in der vergangenen Nacht kein Auge hatte zutun können. Am kommenden Morgen stand er auf und fand sich so frei, daß er nicht nur den Fuß auf den Boden setzte, sondern selbst leicht umhergehen konnte. Er ließ sich daher die Pferde
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