Italienische Novellen, Band 3
Da aber bei der Geburt des Mädchens die Mutter gestorben war, hielt, wie gesagt, Messere Horatio sie unter so strenger Obhut, daß sie nie einen Fuß vor das Haus setzte außer zur Messe und unter dem Geleite der ehrbarsten Frauen aus ihrer Verwandtschaft, weshalb er tagelang sich umsonst bemühte, bis es ihm gelang, sie zu Gesicht zu bekommen. Der Jüngling unterließ aber darum nicht, durch die Straße zu gehen, und begnügte sich damit, da er nicht weiter konnte, wenigstens die Mauern zu betrachten, die eine so große Schönheit in sich schlossen. Dem Hause ihres Vaters gegenüber wohnte ein Duftkrämer, der eine alte Frau hatte, die gewöhnlich in dem Laden stand. Rinieri trat hinein und tat, als wollte er etwas kaufen, und als dies auch wirklich geschehen war, ließ er sich mit der Alten, welche Nastagia hieß, in ein Gespräch ein und fragte sie freundlich, was für Frauen in dieser Straße wohnen. Nastagia antwortete ihm sogleich, es seien viele daselbst, und unter andern eine, die ihrem Laden gegenüber wohne, die sei wie ein Engel des Himmels. »Aber«, fügte sie hinzu, »der Vater hat sie so streng unter der Hut, daß man sie nur höchst selten sieht.«
Während sie nun so miteinander sprachen, begab es sich, daß Cicilia, indem sie von einem Zimmer ins andere ging, sich ein wenig am Fenster zeigte. Sie sah die Duftkrämerin, grüßte sie, und diese erwiderte den Gruß. Bei diesem Gruße erblickte Rinieri, der schon aufgestanden war, die Jungfrau. Er zog das Barett ab und machte ihr eine Verbeugung. Bei dieser Gebärde gefiel er dem Mädchen, so daß auch sein Bild sich ihrem Herzen so wirksam einprägte, daß sie, begierig, ihn zu sehen, nicht aufhören konnte, mit Nastagia zu reden. Es kam aber ihre alte Muhme dazu, die sie ins Haus zurückrief und ihr drohte, wenn sie sie wieder am Fenster finde, werde sie es ihrem Vater sagen und sie dafür züchtigen lassen.
Beim Anblick der Jungfrau meinte Rinieri, alles, was er von ihr gehört hatte, sei nur ein Traum gewesen neben der Wahrheit, und das Feuer wuchs in ihm so an, daß er ganz zur Flamme wurde. Nie war es ihm so leid, arm geboren zu sein, wie jetzt, denn er meinte, wenn er an Vermögen dem Messere Horatio gleich wäre, wäre Cicilia seine Gemahlin geworden.
Die Duftkrämerin stand auf sehr vertrautem Fuße mit jenen Frauen und sie mit ihr, denn es verging keine Woche, wo nicht Nastagia in ihr Haus kam oder sie in das Haus Nastagias, wohin sie auch manchmal Cicilia mitbrachten. So kam die Alte in Messere Horatios Haus und fing an, mit der Jungfrau zutraulich zu plaudern. Diese fragte sie alsbald, wer der Jüngling sei, den sie in ihrem Laden gesehen habe, Sie antwortete, sie wisse nicht, wer es sei, doch komme er ihr sehr höflich und gebildet vor.
»Es ist unmöglich«, antwortete Cicilia, »daß mit so großer Schönheit nicht jeder Vorzug verbunden sein sollte.«
Nastagia verwunderte sich über diese ihre Rede und fragte sie: »Wie hat er Euch gefallen?«
»So sehr«, entgegnete sie, »wie nur irgendeiner, den ich jemals gesehen habe, und es wird mir sehr lieb sein, wenn er öfters wieder hinkommt. Erkundigt Euch, wer er ist, und tut es mir zu wissen!«
Die gute Alte versprach es ihr und ging nach Hause. Gleich als hätte sie ihr ins Herz gesehen, erkannte sie deutlich, daß sie in den jungen Mann verliebt war, und sah daraus, daß manchmal ein Blick beim ersten Begegnen, verbunden mit einem entsprechenden Wesen, mehr Kraft hat als sonst eine lange anhaltende Dienstbarkeit.
Als Rinieri zu Mittag gegessen hatte, kehrte er in den Laden zurück, und Nastagia brachte nun ihre Fragen an, wer er sei und woher er komme. Der Jüngling antwortete, er sei Rinieri Chelini aus Forli. Um die Ursache seines Hierherkommens befragt, sagte er: »Madonna, ich will und kann die Wahrheit nicht verbergen. Das Gerücht hat mir den Ruf der großen Schönheit dieser Eurer Nachbarin bis nach Forli getragen, so daß ich mich gedrungen fühlte, meine Heimat und all das Meinige zu verlassen und hierher zu eilen, um mit Augen jene Schönheit zu sehen, die ich schon lange Zeit nach den Reden anderer im Geiste angeschaut habe. Ich habe sie auch bei ihrem ersten Erscheinen so gefunden, daß, wenn ich sie früher liebte, ich jetzt sie anbete.«
»In der Tat«, entgegnete Nastagia, »ich glaube, Ihr habt Eure Liebe nicht schlecht angebracht; denn ich bin der Ansicht, wenn Ihr für Cicilia glühet, so steht sie für Euch in voller Lohe.«
Rinieri war dies sehr angenehm,
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