Italienische Verführung
Mond voll oder nur eine glänzende Sichel am Himmel über ihnen gewesen? Woran er sich erinnerte, war, dass das Licht von ihr auszugehen schien. Wie hatte ihr goldblondes Haar geschimmert, wie ihre Augen geglänzt! Am meisten jedoch hatte ihn das Feuer ihres Temperaments und ihrer Leidenschaft beeindruckt. Weil es so heiß und hell in ihrem Kuss gebrannt hatte, musste er seitdem immer an sie denken.
Er hatte ihr Blumen aus dem Garten seiner Mutter geschickt, eine Mischung aus wilden und gezüchteten Pflanzen. Wild und züchtig, so wie sie. Sie war erstaunt gewesen, ihn auf der Piazza zu sehen. Nun, für ein paar Münzen konnte man in Rom das Wissen eines jeden Dieners kaufen. Bei Mondlicht waren alle Frauen schön, doch Diana war eine der wenigen, die auch in der mitleidlosen Nachmittagssonne außergewöhnlich gut aussahen. Und auch sie war von ihm fasziniert. Er hatte es in ihren Augen lesen können, in der Luft zwischen ihnen beiden gespürt und an dem klagenden, enttäuschten Ton ihrer Stimme gehört, mit dem sie seinen Namen gerufen hatte, als er sich davonschlich.
Seine Erfahrung sagte ihm, dass er sie morgen meiden musste. Sie sollte glauben, er hätte sie verlassen. So würde er sie aus dem Gleichgewicht bringen und sie im Ungewissen lassen. Ihre Neugier und ihr Verlangen würden wachsen und reifen, bis sie sich nach ihm verzehrte.
Doch es funktionierte nicht ganz so, wie er es erwartet hatte. Er wollte Eindruck bei ihr hinterlassen. Das war der erste Schritt bei jeder richtigen Verführung. Irgendwie hatte diese kleine englische Jungfrau allerdings den Spieß umgedreht und bei ihm Eindruck hinterlassen. Jetzt musste er natürlich wieder das Heft in die Hand nehmen und die ganze Angelegenheit zurück in die Richtung lenken, in die er sie haben wollte. Aber wieso war ihm das überhaupt passiert – ausgerechnet ihm?
„Es war klug von Ihnen, sich zurückzuziehen, Mylord“, sagte der beleibte Mann, der jetzt zu ihm auf den Balkon trat. „Die Luft da drinnen ist unerträglich.“
Anthony nickte und rückte ein wenig beiseite, um dem Neuankömmling Platz zu machen. Er wäre lieber allein geblieben, doch wenn ihn schon jemand stören musste, dann mochte es ruhig Alessandro Dandolo sein. Er war nicht nur der bekannteste und begabteste Sänger der römischen Oper und der Favorit des Vatikans an allen kirchlichen Festtagen, sondern auch der amüsanteste. Seit seiner Geburt als uneheliches Kind in den Straßen Roms hatte er es weit gebracht. Doch der Preis, den er für seine Karriere als Kastrat hatte zahlen müssen – seine Männlichkeit im Austausch gegen eine himmlische Stimme – schien Anthony so entsetzlich, dass er gar nicht daran denken mochte.
„Für einen Spätsommerabend ist es noch recht warm“, sagte Anthony. „Wären wir vernünftig gewesen, wären wir alle noch vierzehn Tage länger in den Hügeln geblieben.“
„Ich meinte nicht die drückende Luft, Mylord.“ Dandolo legte eine bedeutsame Pause ein und strich sich leicht über die üppigen Spitzenrüschen unter seinem Kinn, die er immer trug, um seinen fehlenden Adamsapfel zu kaschieren. „Obwohl ich zugeben muss, dass jeder Raum, in dem sich unsere liebe Lucia befindet, irgendwie … feurig erhitzt ist.“
Anthony lachte leise. „Wie auch nicht? Wo so viele unterwürfige junge Burschen um sie herumschwänzeln.“
„Stimmt.“ Mit einem bewusst melancholischen Seufzer blickte Dandolo ins Zimmer zurück, wo gerade ein weiterer hoffnungsvoller Jüngling sich an einer Arie versuchte. „Aber sie sind so traurig anzusehen, die kleinen Täubchen. So viel Sehnsucht, so viel Mühe, und wofür das alles?“
„Sie blicken auf Sie, Sir“, meinte Anthony trocken, denn das war die Antwort, auf die der andere wartete, „und wünschen sich den gleichen Erfolg: die besten Rollen, den Beifall der Menge und unermesslichen Reichtum.“
„Ja, ja, das ist es.“ In Dandolos rundlichen Wangen wurden Grübchen sichtbar und gaben ihm das Aussehen eines listigen, zu groß geratenen Puttos. „Ruhm ist ein äußerst berauschendes Getränk.“
Anthony hob sein Glas und prostete der Frau im Zimmer zu, die sich jetzt an die Zuhörer wandte. „Sicher möchte unsere liebe Lucia auch einmal daran nippen.“
„Oh, Lucia, Lucia.“ Der große Rubin an seinem Mittelfinger glänzte im Mondlicht, als Dandolo jetzt mit der Hand in der Luft herumwedelte. „Das arme Herzchen! Sie ist gezwungen, sich an die Worte des heiligen Paulus zu halten – ‚Die Frauen
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