Italienische Verführung
weinen und wusste nicht, wieso diese Tränen auf einmal da waren.
Hat dich denn noch nie ein Mann geliebt?
Sie war schön, von Adel, reich und wurde beneidet, wo immer sie erschien. Sie konnte kaum noch die Jungen und Männer zählen, die sie in ihrem kurzen Leben hatte kommen und gehen sehen, all die gestohlenen Küsse und hastigen Zärtlichkeiten. Sie hatte nach ihrer Liebe und ihrer Anerkennung verlangt, so wie sie sich danach gesehnt hatte, die Leidenschaft mit ihnen zu teilen, die alle angeblich für sie empfanden.
Doch Anthony war der Einzige, für den ihre Lust wichtiger gewesen war als seine eigene. Als hochgeborene Adlige wusste sie, dass sie ihm viel zu viele und zu weit gehende Freiheiten erlaubt hatte, doch als Frau – oh, sie wusste keine Worte, mit denen sie die Gefühle hätte beschreiben können, die er in ihr erweckte.
Kein Wunder, dass ihr keine Antwort einfiel.
Hat dich denn noch nie ein Mann geliebt … „
Na gut, es macht nichts“, sagte er schließlich, als wäre ihr Schweigen nicht so wichtig. „Es macht gar nichts.“
Unsicher, was er wohl meinte, blickte sie ihn an. Er beobachtete sie noch genauso eindringlich wie zuvor. Doch jetzt war seine Skepsis etwas anderem gewichen, das gefährlich nach sanftem Verstehen aussah, vielleicht sogar nach Zärtlichkeit. Diesen Ausdruck hatte sie noch nie zuvor im Gesicht eines Mannes gesehen.
Hat dich denn noch nie ein Mann geliebt …
Hastig wandte sie den Blick ab und richtete ihre Aufmerksamkeit auf das riesige, golden gerahmte Gemälde vor ihr und nicht auf den Mann an ihrer Seite. Das Bild stellte Kleopatra dar, die berühmte ägyptische Königin, eine fremd aussehende, doch schöne Frau mit vielen Juwelen und wenig Kleidung. Umgeben von ihrem Hofstaat, ihren wilden Leoparden und Krokodilen an silbernen Leinen saß die Königin wie hingegossen unter wehenden Palmen auf einem goldenen Thron. Die Farben waren brillant, der Pinselstrich so lebendig, dass es Diana fast vorkam, als befände sie sich in Gegenwart der großen Königin.
Und es war besser, an Kleopatra und ihre Krokodile zu denken, als an irgendetwas, was Anthony gesagt hatte.
„Dieses … dieses Gemälde ist so groß wie ein kleines Haus, Mylord“, sagte sie und versuchte, das Zittern in der Stimme zu unterdrücken. „Wenn meine Schwester Mary jetzt hier wäre, könnte … könnte sie mir auf der Stelle sagen, wer es gemalt hat.“
„Tintoretto“, antwortete er. „So heißt der Maler. Ich möchte dich nicht warten lassen, bis es dir deine Schwester sagt. Es stimmt, cara, es ist tatsächlich so groß wie ein kleines Haus, und zwar aus dem einfachen Grund, weil es in Auftrag gegeben wurde, um diese sehr große Wand zu bedecken.“
„Ich verstehe. Tintoretto muss sehr glücklich gewesen sein, einen so großen Auftrag bekommen zu haben.“
Anthony lachte. „ Ich vermute, wenn er sein Honorar nach der Größe der Leinwand berechnete, war er das sicher. Sein richtiger Name war Jacopo Robusti. Doch man nannte ihn il tintoretto – der kleine Färber – denn sein Vater war ein Färbermeister aus Venedig. Und dieser Name blieb ihm.“
Diana nickte eifrig und wünschte, sie hätte besser aufgepasst, als Mary und John sich in den französischen Galerien über Bilder unterhalten hatten. „Dieses Gemälde erinnert mich an einen anderen Künstler. Die gleichen Farben, das gleiche dramatische Licht, gerade so, als würden wir eine Bühnenszene sehen. Ach, ich kann mich nicht mehr so richtig an den Namen des Malers erinnern, aber er klingt so ähnlich wie Tintoretto, auch ein T-Name.“
„Tizian?“, fragte er interessiert. „War das der Name?“
„Ja, ja!“, bestätigte sie, genauso erfreut wie er. „Es war ein so großes Bild wie dieses hier, doch es zeigte eine Szene aus der Bibel.“
„Tizian war der größere Meister“, erklärte Anthony. „Auch er kam aus Venedig. Hier in Rom war er mehrere Jahre lang Gast des Papstes. Zu dieser Zeit malte er einige meiner Vorfahren aus der Familie Prosperi.“
„Tizian? Wirklich?“ In der Bibliothek ihres Onkels hing eine winzige Zeichnung von Tizian über dem Kamin. Der pompöse und Respekt heischende Goldrahmen erdrückte fast die schnell hingeworfene Zeichnung. Gentlemen wie ihr Onkel erkämpften sich Bilder Tizians, brachten sie wie Trophäen von ihren Grands Tours nach Hause. Doch kein englischer Adliger besaß irgendein von Tizian gemaltes Familienporträt.
Das heißt, keiner außer Anthony.
„Ja, wirklich“, sagte
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