Italienische Verführung
und er wusste es auch, das zeigte sein seltsam erstarrtes Lächeln.
„Nun ja“, sagte er und wandte sich ab, um die Zeichnungen auf der Wand hinter ihnen zu betrachten. „Sie dürften bald schon wieder bei uns sein.“
„Das denke ich auch.“ Sie wusste nicht, was sie sonst noch hätte sagen können, und konzentrierte sich daher darauf, den Daumennagel in das halb geschmolzene Wachs der Kerze zu drücken und es mit einem Muster kleiner, ineinandergreifender Halbmonde zu verzieren. „Ich frage mich, warum Miss Wood all diese toten Körper so faszinierend findet“, meinte sie schließlich. „Vielleicht macht es ihr Spaß, sich vorzustellen, wie sie mich martern würde, wenn sie die Möglichkeit hätte, weil ich sie doch immer ärgere. Ha, vielleicht denkt Ihr Onkel das Gleiche von Ihnen, Edward!“
Aber zur ihrer Überraschung sagte Edward nichts darauf, was ihm gar nicht ähnlich sah.
Schnell blickte sie sich um und musste zu ihrem Entsetzen feststellen, dass sie allein in dem Vorraum war.
„Edward?“, rief sie und eilte vom Vorraum zum Gang. „Bitte, Edward, treiben Sie keinen Spaß mit mir. Edward? Edward!“
Doch dieselbe Schwärze, die die anderen drei verschluckt hatte, schien jetzt auch Edward für sich gefordert zu haben. So angestrengt sie auch in die Dunkelheit starrte, sie sah kein Licht, keine Bewegung. Ihre eigenen Schreie klangen matt und gedämpft.
„Edward!“, rief sie wieder und umklammerte mit wild klopfendem Herzen ihre Kerze. Sie wusste, dass sie nicht in Panik geraten oder herumlaufen oder gar riskieren durfte, die winzige Flamme ihrer Kerze auszulöschen. Sie musste an dem Ort bleiben, den die anderen verlassen hatten. Sonst würde sie Gefahr laufen, für immer in dem unterirdischen Labyrinth verloren zu gehen.
Doch wo konnte Edward nur hingegangen sein? Wie hatte er sie einfach im Stich lassen können, wo er doch wusste, wie sehr sie die Dunkelheit hasste …
Der Mann packte sie von hinten, umklammerte ihre Arme und schlug ihr die Kerze aus der Hand. Schreiend versuchte Diana, sich freizukämpfen, während die Kerze über den Boden rollte. Die Flamme zischte, flackerte und verlöschte endlich und ließ Diana kämpfend in der schwärzesten Dunkelheit zurück.
„Lass … lass mich los!“, schrie sie voller Entsetzen und wand sich in dem festen Griff des Mannes. „Lass mich los – sofort!“
„Warum sollte ich, du verdammte Hure?“ Der Mann atmete schwer, und seine Stimme klang gedämpft, als hätte er sich ein Tuch über den Mund gebunden. Doch sie erkannte den Akzent wieder und die hässlichen Worte.
„Will!“, keuchte sie. „Will Carney, um Himmels willen, lass mich los!“
Doch stattdessen riss er ihr die Arme auf den Rücken und drückte sie grob gegen die Mauer. Wieder schrie Diana auf, zitternd vor Furcht, Schmerz und auch Hass gegen den Mann, der es wagte, sie so zu behandeln. Mit aller Kraft versuchte sie, sich zu befreien, doch er drückte sie nur noch fester gegen die Wand, während sie seinen Atem heiß auf ihrem bloßen Nacken spürte.
Doch so plötzlich, wie Will sie gepackt hatte, war er auch wieder fort, von einem anderen Mann – Edward oder seinem Onkel? – in die Dunkelheit gezerrt. Aus dem Gleichgewicht gebracht, stolperte Diana rückwärts und fiel auf Hände und Knie. Während sie nach Atem rang, hörte sie, wie die beiden Männer hinter ihr kämpften, hörte, wie sie stöhnten und wie Fäuste auf Fleisch trafen. Dann ein gedämpfter Fall und ein Stöhnen. Danach war nur noch das stoßweise Atmen eines einzelnen Mannes zu vernehmen.
Aber welcher Mann war es? War es Will oder ihr unbekannter Retter? Wenn es Edward war, warum sprach er dann nicht zu ihr, sagte irgendetwas, um sie zu beruhigen? Ihr Instinkt riet ihr, sich still zu verhalten, und so huschte sie über den feuchten Boden, bis sie eine Mauer erreichte. Dicht an der Mauer kauerte sie sich zusammen, machte sich so klein und unauffällig wie möglich und hielt den Atem an. Sie flehte zum Himmel, ihr eigener Herzschlag möge sie nicht verraten.
Die Dunkelheit schärfte ihr Gehör. Sie vernahm ein metallisches Kratzen und ein gedämpftes Tasten, ein Klicken, wie wenn ein Feuerstahl auf einen Feuerschlagstein traf. Dann das Aufblitzen eines Funkens, der auf den Zunder fiel, ein brennender Docht, der helleres Licht zu verströmen schien, weil er der einzige Lichtstrahl in so viel Schwarz war. Der Lichtkreis der Kerze senkte sich tiefer, und der Schein fand den auf dem Boden ausgestreckt
Weitere Kostenlose Bücher