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Italienische Verführung

Italienische Verführung

Titel: Italienische Verführung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: MIRANDA JARRETT
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die Jahrhunderte hinweg hatten die Füße der Pilger tiefe Aushöhlungen in jede Stufe getreten. Und diese Aushöhlungen fühlten sich für Diana an, als würden die Stufen an ihren Schuhen saugen und sie, ob sie es wollte oder nicht, nach unten ziehen. Um sich abzulenken, zählte sie jeden Schritt beim Hinabsteigen. Aber als sie zweihundert erreicht hatte, hörte sie auf, denn so genau wollte sie gar nicht wissen, wie tief sie vom warmen Sonnenschein und der frischen Luft entfernt waren.
    Schließlich erreichten sie das Ende der Treppe. Unter ihren Füßen war nur noch festgetretene Erde. Der Führer blieb stehen, und der flackernde Kerzenschein beleuchtete auf eigenartige Weise ein verwittertes Gesicht.
    „Häuser der Toten, signore and signori“, begann er in hörbar auswendig gelerntem Englisch. „Jedes Grab in diesen Wänden beherbergt einen, zwei, drei Tote. Adlige, Arme, Babys und Krieger und Märtyrer, Christen und Nichtchristen. Viele, viele, viele Tote, si?“
    Er hielt seine Kerze hoch, damit sie die ersten, gleich Grabsteinen auf einem Friedhof in die Mauer geritzten Markierungen sehen konnten. Dann hielt er die Kerze wieder vor sich, und das schwache Licht beleuchtete das nächste Stückchen Weg vor ihnen, als er sie weiterführte. Der Boden senkte sich und geleitete sie ständig tiefer in die Erde hinunter. Wie Zweige an einem Baum teilte sich jetzt der erste Gang in etliche weitere Gänge. Ihr Führer wählte den am weitesten links liegenden, und alle folgten ihm brav. Keiner wollte riskieren, zurückzubleiben.
    „Schauen Sie nur die Flammen an“, meinte Edward erstaunt. „Die brennen blau!“
    „Die Feuchtigkeit, Sir“, erklärte der Führer. „Das Wasser in der Erde, es macht das Feuer blau, si?“
    „Natürlich“, murmelte Miss Wood. Im Licht der bläulichen Flamme sah ihr rundes Gesicht gespenstisch aus. „Die Feuchtigkeit in der Erde verändert die Qualität der Luft. Daher die Farbe der Flamme. Faszinierend!“
    Doch Diana fühlte sich weniger fasziniert als beklommen. So tief unter der Oberfläche war die Luft schwer und stank. Während sie weitergingen, wurde der Gang immer enger, bis er nur noch für eine Person breit genug war. Man hatte Diana und Miss Wood vor den engen Tunneln gewarnt, und deshalb trugen sie heute keine breitrandigen Hüte, sondern hatten sich lose Tücher um die Haare geschlungen. Trotzdem staunte Diana, wie niedrig die Decke war. So niedrig, dass die beiden Männer sich bücken mussten, wenn sie sich nicht den Kopf anstoßen wollten.
    Spinnweben streiften Dianas Röcke und blieben an ihnen kleben. Sie konnte das leise Huschen und Krabbeln von winzigen Lebewesen und Insekten hören, die anscheinend hier unten lebten. Dazu kam noch die schreckliche Gewissheit, dass sie von Hunderten – Tausenden – längst verstorbenen Römern umgeben waren, die man wie Rüben in einem Keller in diesen abgeflachten Nischen gestapelt hatte. Kein Wunder also, dass Diana vor Angst ihre Kerze so fest umklammerte, dass ihr die Finger schmerzten.
    Miss Wood jedoch schien sich ganz und gar nicht unbehaglich zu fühlen und blieb stehen, um ihre behandschuhten Fingerspitzen über eine Inschrift gleiten zu lassen.
    „Sehen Sie doch nur, Mylady“, sagte sie eifrig und nötigte Diana, ebenfalls stehen zu bleiben. Mit den Fingern zog sie die Linien der Buchstaben nach, unter denen ein Kreuz stand. „ Julia Filia Pacis.“ Nun, ich weiß, dass wir nie zusammen die lateinische Sprache studiert haben, aber das hier heißt ‚Julia, Tochter des Friedens‘. Denken Sie doch nur, Mylady! Julia liegt direkt hinter diesem Stein.“
    Aber Diana wollte nicht an die tote Julia denken, die nur wenige Zoll von ihrem Gesicht entfernt lag. Und sie mochte auch nicht länger hier stehen bleiben, sondern wollte so rasch wie möglich fort.
    „Halt, signorina, bitte, bitte!“ Der Führer erwischte ihren Arm und hielt sie zurück. „Sie wären verloren! Alle müssen zusammen bleiben, oder Sie werden umkommen.“
    „Das ist wahr, Mylady“, belehrte sie Reverend Lord Patterson. „Diese Gänge ähneln dem schlimmsten Straßengewirr. Sie führen meilenweit, egal in welche Richtung. Jeder, der ihnen ohne genaue Kenntnisse folgt, wird wahrscheinlich nie mehr gefunden werden. Stimmt es, guida, dass es keine anderen Ausgänge gibt als den, durch welchen wir eingetreten sind?“
    „Es gibt andere“, antwortete der Führer düster. „Aber nur unter großem Risiko. Nur für solche, die den Weg kennen. Nicht

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