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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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Soldaten waren
meist Reservisten der verschiedenen Nationalitäten und hatten Geld genug. Sie
kauften ihre kleinen Bedürfnisse in den Läden und Obst und Süßigkeiten an den
Straßenecken. Die Preise stiegen sprunghaft. Heu und Hafer waren überhaupt
nicht zu haben. Auf den Bergen um die Stadt begann man, Befestigungen zu
bauen. Auch auf der Brücke selbst hob eine sonderbare Arbeit an. In der Mitte,
unmittelbar hinter der Kapija, wenn man von der Stadt auf das linke Drinauf er geht,
begannen besonders herbeigeholte Arbeiter in einem Pfeiler eine Art Schacht von
der Größe eines Quadratmeters auszuhauen. Die Baustelle war mit einem grünen
Zelt überdeckt, unter dem man ein ständiges Klopfen hörte, das immer tiefer
ging. Der ausgehauene Stein wurde sofort über die Einfassung in den Fluß
geworfen. So geheim die Arbeit auch gehalten wurde, in der Stadt wußte man
trotzdem, daß die Brücke miniert wird, das heißt daß man ein tiefes Loch in
einen Brückenpfeiler gräbt und in sein Fundament Sprengstoff für den Fall legt,
daß es zum Kriege kommt und die Sprengung der Brücke notwendig werden sollte.
In den ausgehauenen Schacht wurden lange Eisenleitern hinabgelassen, und, als
alles fertig war, wurde die Öffnung mit einem eisernen Dekkel verschlossen.
Schon nach ein paar Tagen hatte sich die Eisenplatte dem Stein und dem Staub
angeglichen, und über sie fuhren die Wagen, gingen die Pferde und eilten
geschäftig die Fußgänger hinweg, ohne an Minen und Sprengstoffe zu denken. Nur
die Schulkinder blieben hier stehen, klopften neugierig auf diese Eisentür,
rieten, was sich dahinter verstecke, phantasierten von einem neuen Schwarzen
Mann, der in der Brücke versteckt sei, und stritten, was Sprengstoffe seien,
welche Wirkung sie hätten und ob man überhaupt ein so großes Bauwerk sprengen
könne.
    Von den Erwachsenen ging Alihodscha
als einziger hin und besah finster und argwöhnisch das grüne Zelt, solange
gearbeitet wurde, und danach den eisernen Deckel, der auf der Brücke geblieben
war. Er lauschte auf das, was man sprach oder flüsterte: daß in diesem Pfeiler
ein Schacht wie ein Brunnen ausgehauen und in ihm Sprengstoff gelagert sei und
daß er durch einen elektrischen Draht mit dem Ufer verbunden sei, so daß der
Kommandant zu jeder Tages- und Nachtzeit die Brücke in der Mitte sprengen
könne, als sei sie aus Zucker und nicht aus Stein. Der Hodscha hörte zu,
schüttelte den Kopf und grübelte darüber am Tage, wenn er sich in seinen
Verschlag, den er Tabut, Sarg, nennt, zurückzog, und des Nachts im Bett, wenn
Schlafenszeit war; bald glaubte er es, bald wies er eine solche Möglichkeit
als zu wahnwitzig und gottlos von sich, ständig aber machte er sich Sorgen
darüber, so daß auch im Traum seine Vorfahren, die einstigen Mutevelija, die
Verwalter der Stiftung Mehmed Paschas, erschienen und ihn streng fragten: was
ist das, was geht dort mit der Brücke vor? Er selbst wälzte diese Sorge ständig
in seinem Kopfe. Er wollte niemand im Kaufmannsviertel fragen, denn er meinte,
daß ein vernünftiger Mensch schon lange niemanden mehr habe, bei dem er sich in
dieser Stadt Rat holen oder mit dem er vernünftig sprechen könne, denn jedermann
habe entweder Ehre oder Verstand verloren oder sei ebenso verwirrt und
verbittert wie er selbst.
    Dennoch bot sich ihm eines Tages die
Möglichkeit, sich auch darüber zu unterrichten. Einer von den Beg Brankowitsch
aus Crntsche, Muhammed, hatte beim Heer in Wien gedient, war dort als
»Längerdiener« geblieben und hatte es bis zum Feldwebel gebracht. (Dies war
ein Enkel jenes Schemsibeg, der sich nach der Besetzung in sein Crntsche
eingeschlossen hatte und dort vor Kummer gestorben war und den man noch heute
unter den alten Mohammedanern als unerreichbares Beispiel moralischer Größe
und Festigkeit erwähnte.) Muhammed Beg war in diesem Jahre auf Urlaub gekommen.
Er war ein rothaariger, großer und fülliger Mann, in tadelloser Uniform, mit
gelben Schnüren, roten Troddeln und silbernen Sternen am Kragen, schneeweißen
Lederhandschuhen an den Händen und einem roten Fez auf dem Kopf. Glatt,
lächelnd, tadellos sauber und gepflegt schlenderte er durch die Stadt, klirrte
mit seinem langen Säbel diskret über das Pflaster und grüßte jeden
liebenswürdig und trat sicher auf, wie ein Mann, der des Kaisers Brot ißt und
weder an sich zweifelt, noch irgend etwas von anderen zu befürchten hat.
    Als dieser Muhammed Beg auch zum
Hodscha in den Laden kam, um ihn zu

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