Ivo Andric
begrüßen, und sich niedersetzte, um einen
Kaffee zu trinken, benützte Alihodscha die Gelegenheit, um ihn, als einen Mann
des Kaisers, der fern der Stadt lebte, um eine Erklärung für die Sorge, die ihn
bedrückte, zu bitten. Er sagte ihm, worum es sich handle, was man auf der
Brücke gebaut habe und was man in der Stadt erzähle, und fragte ihn, ob so
etwas Ungeheuerliches möglich sei: daß man planmäßig die Vernichtung einer
Stiftung von allgemeinem Nutzen, wie es diese sei, vorbereite.
Sobald er gehört hatte, um was es
sich handelte, wurde der Feldwebel plötzlich ernst. Das breite Lächeln
verschwand, und sein rotblondes, gut ausrasiertes Gesicht nahm einen hölzernen
Ausdruck an, als sei er auf der Parade, wenn eben »Habt acht« befohlen war. Er
schwieg einen Augenblick, wie unangenehm berührt, und dann antwortete er mit
leise gewordener Stimme:
»An alledem kann schon etwas sein.
Aber wenn ich dir die Wahrheit sagen soll, das beste ist, nicht danach zu
fragen und nicht darüber zu sprechen, denn das fällt unter die Vorsichtsmaßnahmen
für den Fall eines Krieges und Dienstgeheimnisse und so weiter und so weiter.«
Der Hodscha haßte alle neuen Ausdrücke,
ganz besonders aber dieses »Undsoweiter«. Nicht nur weil es ihn unangenehm berührte,
sondern weil er klar empfand, daß gerade dieses Wort in der Rede der Fremden an
Stelle verschwiegener Wahrheiten stand und daß alles, was davor gesagt worden
war, im Grunde nichts aussagte.
»Ich bitte dich, komm mir um Gottes
willen nicht mit diesem < ... und so weiter, weiter > , sondern sage mir
klipp und klar, wenn du es kannst, was geschieht dort auf der Brücke. Das ist
doch kein Geheimnis. Was wäre das denn für ein Geheimnis, wenn es schon die
ABC-Schützen wissen?«, fiel ihm der Hodscha ärgerlich ins Wort. – »Und was hat
denn um Gottes willen die Brücke mit ihrer Kriegführung zu tun?«
»Sie hat es, Alihodscha, und wie«,
antwortete Brankowitsch, nun schon wieder lächelnd.
Und er erläuterte ihm liebenswürdig
und ein wenig von oben herab, wie man zu einem Kinde spricht, daß alles dies in
den Dienstvorschriften vorgesehen sei, daß es dazu Pioniere und Pontoniere
gäbe, daß in der kaiserlichen Armee ein jeder nur seine Arbeit kenne und sich
um fremde »Branchen« keine Sorgen zu machen und nicht in sie sich einzumischen
brauche.
Der Hodscha hörte ihm zu und blickte
ihn an, aber er verstand nur wenig und hielt es nicht lange aus.
»Das ist ja alles schön und gut,
mein Bester, aber wissen die denn auch, daß dies ein Vermächtnis des Wesirs
ist, daß es zu seinem Seelenheil und aus Liebe zu Gott erbaut wurde und daß es
Sünde ist, auch nur einen einzigen Stein davon fortzunehmen?«
Der Feldwebel breitete nur die Hände
aus, zuckte mit den Schultern, preßte die Lippen zusammen und senkte die Augen,
so daß sein Gesicht einen listig-höflichen Ausdruck, unbeweglich, blind und
taub, erhielt, wie ihn die Menschen nach jahrelanger Arbeit in überalterten
und morschen Verwaltungen erwerben, in denen die Diskretion seit langem in
Geistlosigkeit und die Dienstbereitschaft in Unterwürfigkeit ausgeartet sind.
Ein weißes, unbeschriebenes Blatt Papier sprach noch Bände gegenüber der
stummen Vorsicht dieses Gesichtes. Sofort danach aber öffnete der Mann des
Kaisers die Augen, ließ die Hände sinken, glättete sein Gesicht und nahm wieder
den ständigen Ausdruck jener sicheren, lächelnden Heiterkeit an, in der Wiener
Gutmütigkeit und türkische Höflichkeit zusammenflossen und sich wie zwei
Gewässer mischten. Er wechselte das Gespräch, lobte in gewählten Worten die
Gesundheit des Hodscha und sein jugendliches Aussehen und verabschiedete sich
mit jener gleichen, unerschöpflichen Liebenswürdigkeit, mit der er gekommen
war. Der Hodscha blieb verwirrt und in sich wankend gemacht, aber nicht weniger
besorgt als vorher, zurück. Versunken in diese sorgenvollen Gedanken, blickte
er von seinem Laden in die strahlende Schönheit des ersten Märztages hinaus.
Schräg ihm gegenüber stand die ewige und ewig gleiche Brücke; durch ihre weißen
Bögen blickte man auf die grüne, glitzernde und unruhige Oberfläche der Drina,
so daß die Brücke wie ein ungewöhnliches, zweifarbiges Halsband aussah, das in
der Sonne glänzte.
18
Diese Spannung, die man in der Welt als
»Annexionskrise« bezeichnete und die auch hier ihren unheilverkündenden
Schatten auf die Brücke und die Stadt neben ihr warf, endete schnell. In
Notenwechseln und
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