Ivo Andric
Gesichtern
vorüber, grüßten einander und sprachen jene hundert üblichen Worte städtischer
Höflichkeit, die seit je in der Stadt umliefen und vom einen zum anderen
gingen wie falsches Geld, das dennoch den Verkehr ermöglicht und erleichtert.
Als aber nach Sankt Eliä die Feuer
auf dem Panos erloschen und sich der Aufstand aus dem Uschitzer Gebiet verzog,
da zeigte wiederum weder die eine noch die andere Seite ihre Gefühle. Es wäre
auch schwer gewesen zu sagen, welches die wahren Gefühle der einen wie der
anderen waren. Die Türken waren zufrieden, daß sich der Aufstand entfernte,
und hofften, er werde völlig erlöschen und sich dort verlieren, wo alle
gottlosen und bösen Unterfangen enden. Dennoch war diese Befriedigung
unvollständig und verfinstert, denn es war schwer, eine so nahe Gefahr zu
vergessen. Viele von ihnen sahen noch lange in ihren Träumen phantastische
Aufstandsfeuer wie einen Funkenschwarm auf allen Gipfeln um die Stadt oder
hörten Karageorges Geschütz, aber nicht als ein gedämpftes, fernes Grollen,
sondern als brüllende, alles erschütternde Kanonade. Die Serben dagegen waren,
was verständlich ist, nach dem Verschwinden der Feuer auf dem Panos betrübt
und enttäuscht, aber auf dem Grunde ihrer Seele, jenem wahren und letzten
Grunde, der sich niemandem enthüllt, blieb die Erinnerung an das Vergangene
und das Bewußtsein, daß immer wiederkommen könne, was einmal gewesen sei; es
blieb ihnen auch die Hoffnung, die wahnsinnige Hoffnung, jenes große Vorrecht
der Unterdrückten. Denn diejenigen, die da herrschen und unterdrücken müssen,
um zu herrschen, sind gezwungen, mit Vernunft zu herrschen; überschreiten sie
aber, fortgetragen von ihrer Leidenschaft oder getrieben vom Gegner, die
Grenzen des vernünftigen Verhaltens, so geraten sie auf den abschüssigen Pfad
und kennzeichnen damit selbst den Weg ihres Unterganges. Dagegen bedienen sich
die Unterdrückten und Ausgebeuteten leicht des Vernünftigen wie des
Unvernünftigen, denn dies sind nur zwei verschiedene Waffen im ständigen, bald
heimlichen, bald offenen Kampf gegen den Unterdrücker.
Zu diesen Zeiten war die Bedeutung
der Brücke als einzige sichere Verbindung zwischen dem bosnischen Paschaluk und
Serbien ungewöhnlich gestiegen. In der Stadt lag jetzt eine ständige Abteilung
Soldaten, die auch zu Zeiten der Ruhe nicht aufgelöst wurde und die Brücke
über die Drina schützte. Damit sie diese Aufgabe möglichst gut und mit
möglichst wenig Mühe erfüllen könnten, gingen die Soldaten daran, mitten auf
der Brücke ein hölzernes Blockhaus zu errichten, ein wahres Ungetüm und eine
Scheußlichkeit nach Form, Lage und Material, aus dem es gebaut. (Aber überall
auf der Welt errichtet das Militär für seine eigenen Zwecke und vorübergehende
Bedürfnisse solche Bauwerke, die später, mit den Augen des bürgerlichen Lebens
und friedlicher Bedürfnisse betrachtet, absurd und unverständlich erscheinen.)
Es war dies ein ganzes Haus mit einem Stockwerk, plump und aus Balken und
groben Brettern zusammengeschlagen, mit einem freien Durchlaß, wie einem
Tunnel, darunter. Das Blockhaus ruhte auf starken Balken, so daß es auf der
Brücke ritt und sich nur an seinen beiden Enden auf die Kapija, mit dem einen
auf ihre linke und mit dem anderen auf die rechte Terrasse, stützte. Unter ihm
war ein freier Durchlaß für Wagen, Pferde und Fußgänger, aber vom Oberstock, in
dem die Posten schlafen sollten und zu dem offene, fichtene Treppen
hinaufführten, konnte man jeden, der hindurchkam, beobachten, seine Papiere
und sein Gepäck nachsehen und in jedem Augenblick, wenn es notwendig werden
sollte, den Durchlaß sperren.
Dies veränderte in der Tat das
Aussehen der Brücke. Die liebliche Kapija verschwand unter dem hölzernen Bau,
der mit seinen Balken auf ihr wie ein mißgestalteter Riesenvogel hockte.
Am gleichen Tage aber, da das
Blockhaus fertig war, noch stark nach Fichtenholz roch und leer von jedem
Schritt widerhallte, wurde es sofort von der Wache bezogen. Sobald der erste
Morgen dämmerte, hatte das Blockhaus, wie eine Falle, schon die ersten Opfer
erfaßt.
In der niedrigen und roten Sonne des
frühen Morgens versammelten sich unter ihm Soldaten und einige bewaffnete
Bürger, Türken, die des Nachts Wache hielten und so die Soldaten unterstützten.
In der Mitte dieses Haufens saß auf einem Balken der Wachhabende, und vor ihm
stand ein alter Landstreicher und Betbruder, ähnlich einem Bettelmönch, aber
sanftmütig und
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