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Ivo Andric

Ivo Andric

Titel: Ivo Andric Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Brücke über die Drina
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verurteilt.
    Soweit es von unserem Volke abhängt,
wäre das Leben auf der Kapija auch weiterhin ohne Änderung verlaufen. Man
merkte nur, daß auch die Serben und Juden immer freier, in immer größerer Zahl
und zu jeder Tageszeit auf der Kapija erschienen, ohne, wie einst, auf die
Türken und deren Gewohnheiten und Rechte Rücksicht zu nehmen. Sonst blieb alles
beim alten. Tagsüber saßen hier die Händler und Kaufleute, die die Bauern abfangen
und ihnen Wolle, Geflügel und Eier abkaufen, und neben ihnen hockten die
Nichtstuer, die mit der Sonne von einem Ende der Stadt zum anderen rücken.
Gegen Abend kamen auch die anderen Städter, Kaufleute und Handwerker, um sich
ein wenig zu unterhalten oder nur zu schweigen und den breiten, grünen, von
Weiden eingefaßten und mit Sandbänken besprenkelten Fluß hinabzublicken. Die
Nacht aber gehörte den jungen Burschen und den Betrunkenen. Für sie gab es nie
eine Grenze, weder in der Zeit, noch im Verweilen oder im Verhalten.
    In diesem nächtlichen Teil des
Lebens gab es, wenigstens in der ersten Zeit, Veränderungen und
Mißverständnisse. Die neue Obrigkeit hatte auch eine ständige Beleuchtung in
der Stadt eingeführt. Schon im ersten Jahre wurden in den Hauptstraßen und an
den Kreuzungen auf grünen Pfosten Laternen aufgestellt, in denen
Petroleumlampen brannten. (Die Lampen reinigte, füllte und zündete der lange
Ferhad an, ein armer Mann mit einer Stube voller Kinder, der bis dahin auf dem
Utschumat, dem Kreisamt, Dienste verrichtet, zum Ramadan aus dem Böller
geschossen und ähnliche Geschäfte besorgt hatte, ohne einen ständigen und
sicheren Lohn dafür zu haben.) So wurde die Brücke an einigen Stellen
beleuchtet, und auch auf der Kapija. Der Pfahl für diese Laterne wurde an jenem
Eichenbalken befestigt, der im Mauerwerk vom einstigen Blockhaus übriggeblieben
war. Diese Laterne auf der Kapija hatte einen langen Kampf zu bestehen gegen
die genießerischen Gewohnheiten jener, die gern im Dunkeln auf der Kapija
sangen, rauchten oder plauderten, und gegen die Zerstörungslust der jungen
Burschen, in der sich Liebessehnsucht, Langeweile und Raki mischten. Sie reizte
dieses flackernde Licht, und oft waren am Morgen Laterne und Petroleumlampe
zerschlagen. Viele Geldbußen und Urteile gab es um diese Lampe. Eine Zeitlang
hütete sogar ein besonderer Stadtwächter dieses Licht. So hatten die
nächtlichen Besucher nun auch einen lebenden Zeugen, der ihnen noch unangenehmer
war als das Licht. Aber die Zeit tat das ihre, und die neuen Generationen
gewöhnten sich mit der Zeit daran und fanden sich damit ab, ihren nächtlichen
Gefühlen beim schwachen Licht der städtischen Laterne freien Lauf zu lassen,
ohne jedesmal mit Steinen, Stöcken oder dem ersten besten, harten Gegenstand,
der ihnen in die Hand geriet, nach ihr zu werfen. Dies war um so leichter, als
in den mondhellen Nächten, wenn die Kapija besonders stark besucht war, die
Lampen überhaupt nicht angezündet wurden.
    Nur einmal im Jahre mußte die Brücke
eine große Beleuchtung über sich ergehen lassen. In jedem Jahre, am Vorabend
des 18. August, dem Geburtstag des Kaisers, schmückte die Obrigkeit die Brücke
mit Laubkränzen und einer Reihe junger Fichten, und mit der ersten Dämmerung flammten
Reihen von Lampen und kleinen Lichtern auf. Hunderte leerer Konservenbüchsen
aus der Heeresverpflegung, gefüllt mit Talg und Stearin, leuchteten in langen
Reihen auf der steinernen Brückeneinfassung. Sie erhellten die Linie der
Brücke, während sich die Enden und Pfeiler, auf denen sie ruhte, im Dunkel
verloren, so daß der erleuchtete Teil aussah, als schwebe er im Raum. Aber
jedes Licht verbrennt schnell, und jedes Fest geht vorüber. Schon am nächsten
Tage war die Brücke wieder, wie sie immer ist. Nur blieb den Kindern aus dieser
Generation das neue und ungewöhnliche Bild der Brücke unter dem kurzen Spiel
des Lichtes vor Augen, lebhaft und eindrucksvoll, aber kurz und vorübergehend
wie ein Traum.
    Außer der ständigen Beleuchtung
führte die neue Obrigkeit auf der Kapija auch Sauberkeit ein, das heißt, eine
besondere Art von Sauberkeit, die ihren Auffassungen entsprach. Obstreste,
Melonenkerne und die Schalen von Nüssen und Haselnüssen blieben jetzt nicht
mehr tagelang auf den steinernen Platten liegen, bis sie der Regen fortspülte
oder der Wind forttrug. Alles dies kehrte und reinigte jeden Morgen ein
besonderer Straßenkehrer der Gemeinde. Und dies störte letzten Endes niemand
sehr, denn die

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