Ivy - Steinerne Wächter (German Edition)
Probleme deiner Mutter von ihrem Erbteil herrühren und dass ihre Familie vielleicht in der Lage sein würde, ihr zu helfen. Vielleicht sogar, sie zu heilen.«
Lily hatte gerade beschlossen, sich von nichts mehr schocken zu lassen, aber das … Mr Mayfairs Worte explodierten in ihrem Kopf wie kleine Feuerwerkskörper. Ihr fiel ein, wie Grandpa gesagt hatte, es gäbe Hoffnung. Das hatte er also damit gemeint.
»Eigentlich wollte er dir das alles selbst erklären, aber … «, sagte Mr Mayfair und deutete auf den Flur, in Richtung der weißen Tür. »Er würde nicht wollen, dass du noch länger wartest. Du musst wissen, deiner Mutter geht es von Tag zu Tag schlechter. Ihre Dosis Magie reicht nicht mehr aus. Wenn sie nicht so schnell wie möglich echte Hilfe bekommt, wird sie sich bald ganz verlieren.«
Er hatte ihr etwas Bedenkzeit gegeben. Also ging sie zurück in das Krankenzimmer und rollte sich neben ihrer Mutter in einem Sessel zusammen. Mom lag noch genauso da, wie Lily sie verlassen hatte, die Wange auf dem Laken des Krankenbettes und die Hände eng um die schlaffen Finger von Grandpa geschlossen. Reglos und stumm.
Lily betrachtete ihren Hinterkopf. Das orangerote Haar hing wirr herunter wie leuchtendes Seegras, die Sprühfarbe bildete hässliche Flecken auf der Kopfhaut. Mr Mayfair hatte recht: Es wurde schlimmer.
Ihr fiel wieder ein, was ihr Großvater gesagt hatte. Ihr Verfall schreitet schneller voran als erwartet. Wir müssen jetzt handeln.
Lily durfte diese Chance nicht verpassen. Sie musste es tun. Der Raum war erfüllt vom beständigen, monotonen Piep-Piep-Piep des Monitors, der die Herztöne aufzeichnete. Grandpa würde auch wollen, dass sie es tat, ganz gleich, wie sehr sie den Gedanken auch hasste, ihre Mutter Fremden anzuvertrauen.
»Mom?«, fragte Lily behutsam. »Ich muss dir was sagen. Grandpa hatte ein Geheimnis.«
Ihre Mutter hob den Kopf. Sie sah aus wie eine Porzellanpuppe, die jeden Moment zersplittern konnte. Tränen hatten kreuz und quer auf ihrem Gesicht Spuren hinterlassen wie ein Netz winziger Risse.
Lily holte tief Luft. Und dann erzählte sie ihr die Wahrheit.
Während sie sprach, weiteten sich die Augen ihrer Mutter zusehends, und ihr Mund begann, ein erstauntes O zu formen. Ihre Hände ließen Grandpa los.
Irgendwann gingen Lily die Worte aus. Stumm starrte Rose sie an.
»Alles … alles in Ordnung?«, fragte Lily.
Rose blickte hinüber zu Grandpa. Dann ergriff sie wieder seine Hand und hielt sie ganz fest.
»Darum hat er uns überredet, ihn hierher zu begleiten«, fuhr Lily fort. »Damit ich lerne, wie ich dich nach Hause bringen kann.«
Ihre Mutter lehnte sich über das Krankenbett und küsste Grandpa auf die Wange. »Nein«, sagte sie, sanft aber bestimmt.
Lily blinzelte verwundert. »Was meinst du damit, nein? Nein wozu?«
»Mein Platz ist hier«, verkündete ihre Mutter, »bei meinem Vater.«
»Mom, er ist nicht … « Lily stockte.
Mom lächelte schwach. »Natürlich ist er das. Er ist meine Familie, auch wenn nicht das gleiche Blut in unseren Adern fließt. Oder das gleiche Chlorophyll.«
Lily zuckte zurück. Es war das erste Mal, dass sie nicht schlau wurde aus ihrer Mutter. Sie konnte nicht sagen, ob da Bitternis in ihrer Stimme lag oder ob sie sich amüsierte. Sie klang einfach nur ruhig und überzeugt. »Aber du hast es doch selbst gesagt: dass du jeden Tag ein bisschen weiter wegrutschst.«
»Ich werde ihn nicht im Stich lassen.«
Lily schüttelte den Kopf und öffnete den Mund, um noch einmal zu widersprechen, doch ihre Mutter legte ihr leicht die Hand auf den Arm. »Nein, Lily.«
Lily fielen ein halbes Dutzend Gegenargumente ein, die sie jedoch allesamt verwarf. Mom war oft stur, aber wenn sie … Grandpa hatte sie mal mit einem Baum verglichen, der sich glücklich beugte, wann immer eine sanfte Brise ihn wiegte, sich aber nicht einen Millimeter von der Stelle rührte, wenn es wirklich drauf ankam. Lily wünschte, sie könnte ihn für solche Sprüche hassen. Doch stattdessen sagte sie nur: »Du scheinst noch nicht mal überrascht zu sein.«
Rose legte den Kopf schief, als würde sie darüber nachdenken, wie überrascht sie war. »Nun, es ergibt doch einen Sinn.«
Lily starrte sie verblüfft an. Das war ein Scherz, oder?
»Einmal«, fuhr ihre Mutter fort, »da hab ich eine Extradosis genommen. Nicht mit Absicht. Ich hatte vergessen, dass ich meine Medizin schon gehabt hatte. Jede einzelne Pflanze in unserer Wohnung begann zu blühen. Und die
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