Ja, Liebling
werden die Mädchen machen. Sie verstehen viel von moderner Kunst und Fluchtpunkt und gedämpften Farben und so weiter.«
»Dann passen Sie auf, daß sie Ihnen das Zimmer nicht verderben. Wieviel Bücher Sie haben!«
»Möchten Sie sich welche ausleihen?«
»Das wäre herrlich. In zwanzig Meilen Umkreis gibt es hier keine Bibliothek.«
»Nehmen Sie mit, was Sie wollen. Wenn Sie wiederkommen, können wir uns darüber unterhalten.«
Klang das nicht ziemlich keck? Aber er war so jung und so bescheiden. Er brauchte eine Ermutigung, mindestens ebenso dringend wie sie.
Er freute sich schon auf das nächste Wiedersehen und sagte: »Es ist schön, wenn man mit jemandem über Bücher reden kann.« Das hatte ihm immer gefehlt. Mit Tante Edith konnte man sich nicht unterhalten, und sein Vater schlief meistens oder — er schlug irgend etwas im Lexikon nach. »Sind Sie sicher, daß ich Sie nicht störe?«
»Natürlich stören Sie nicht, aber es wird für sie langweilig sein. Es ist halt keine Jugend im Haus.«
Sie hätte gern gesagt: >Kommen Sie doch mal, wenn Cecily zu Hause ist<, aber das wäre nicht gut gewesen. Cecily hätte sich mit einem jungen Lehrer kaum jemals abgegeben. Sie wäre wohl so charmant wie immer gewesen, aber nachher hätte sie gelacht und gesagt: >Liebes, wo hast du den denn aufgetrieben, der kann einem wirklich leid tun.<
Unvermittelt sagte er: »Ich komme mit jungen Leuten nicht besonders zurecht.« Dann wurde er verlegen, weil sie ja selbst noch recht jung war. Er fügte hastig hinzu: »Ich werde Sie gern besuchen und mich mit Ihnen über Bücher und andere Dinge unterhalten, nur nicht über Menschen.« Er verabschiedete sich, lehnte ihr Angebot ab, ihn nach Hause zu fahren und verschwand mit einem kleinen Bücherstapel unter dem Arm.
Die Kinder schliefen noch. Margaret ging ins Eßzimmer und schloß Herveys Schreibtisch auf. Das dritte Schulheft war beinahe voll — und es waren dicke Hefte. Beim Schreiben war Margaret immer sehr geschwätzig. Ganz das junge Mädchen, das Hervey stets zur Verzweiflung trieb. Vielleicht hatte sie immer schon gern geredet, aber es war nie jemand da, der ihr zuhören wollte. Möglich, daß ihre Schreibhefte ihr deswegen so viel Freude machten. Ein entmutigender Gedanke — sie seufzte. Sie war eben nur eine enttäuschte und ziemlich einsame Frau von dreißig, die mit jemandem reden wollte. Viele einsame Frauen haben einen Hund oder eine Katze und reden mit denen, aber Hervey mochte keine Haustiere, und selbst nach seinem Tod hatte sie seine Wünsche respektiert und keine angeschafft. Statt dessen fand sie in ihren Notizen ein Ventil. So entstand Seite für Seite, wobei der Inhalt weder besonders interessant noch aufregend war. Es ging nur um das ganz alltägliche Verhalten von alltäglichen Menschen.
Dabei behandelte sie die Leute gar nicht immer sehr freundlich. Mit einem gewissen Schuldbewußtsein las sie folgende Worte: >Alicia hätte nie etwas so Gewöhnliches oder Auffälliges getan wie etwa Einladungskarten auf dem Kaminsims aufzustellen — sie kultivierte jedoch eine Art unbeschwerter Unordnung, so daß Besucher immer wieder auf simple, sehr teure Karten stießen, mit denen ihre Gastgeber zu exklusiven
Partys eingeladen worden waren. Manchmal waren diese Karten als Lesezeichen in Büchern vergessen worden, die verliehen wurden, manchmal lagen sie ganz zufällig mit dem Text nach oben zwischen den Cocktailgläsern auf dem Tisch.<
Natürlich war das Elinor. Gar nicht edel, die Stiefnichte zu verspotten! Wie schrecklich, wenn Elinor das jemals zu lesen bekäme. Margaret überlegte beschämt, daß man wenigstens ein wenig freundlich sein müßte, wenn man schon nicht klug war.
Nun, über David Shaw wollte sie freundlich schreiben, weil man über einen so zurückhaltenden, vornehm wirkenden jungen Mann tatsächlich nichts Böses sagen konnte. Sie mochte ihn und hatte das Gefühl, in ihm einen Freund gefunden zu haben. Er glich ihr in mancher Hinsicht, hatte in der Gesellschaft wenig Erfolg, war nicht auffällig, sondern einsam und empfindsam und konnte mit ihr zusammen über einen kleinen Spaß lachen; auch er hatte schwere Zeiten durchgemacht und lebte auch heute noch nicht so, wie er es sich wünschte.
In Gedanken brachte sie ihn hinter den Vorhängen des Hauses Nummer zwölf unter, gemeinsam mit seiner tristen Tante und dem vielbeschäftigten Vater. Zunächst würden die Leute ihn vielleicht verachten, auf ihn herabsehen, aber was für ein Spaß, wenn
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