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Jack Holborn unter den Freibeutern

Jack Holborn unter den Freibeutern

Titel: Jack Holborn unter den Freibeutern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leon Garfield
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dünne, schwache,
    kümmerliche Getön, das Mister Trumpet als täu-
    schende Nachahmung meiner hübschen Stimme an-
    erkannte. Das konnte ich überhaupt nicht verzeihen.
    XVII
    Mehr als zwölf Tage lang folgten wir der Sklavenka-
    rawane, hielten bei Tag eine halbe Meile Abstand
    und rückten bei Nacht näher heran.
    Manchmal wand sie sich durch Waldgebiete,
    manchmal am Fluß entlang.
    Dann schleppte sich am dreizehnten Tag, kurz vor
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    Abend, Lord Sheringham, der noch mit den Sklaven
    zusammengeschirrt war, in den staatenlosen Hafen N-.
    Bestimmt hatte kein englischer Richter je eine so un-sinnige Reise unternommen. Dreizehn Tage lang hat-
    te er sich bewegt, geschlafen, gegessen und gewohnt wie ein Lasttier, nicht besser. Sein Geist war allen langsam brennenden Feuern der Scham und des Unheils anheimgegeben gewesen und sein Fleisch von
    Peitschen gepeinigt worden. Was hatte es ihm ange-
    tan? Hatte sich sein Geist gegen die Unterdrückung
    verhärtet? Oder war er zerrüttet? Hatte sich sein
    Stolz über die Peitschen erhoben? Oder sich darunter gekuscht? Denn nichts steht still. Nicht einmal in einem Mann wie ihm.
    Wir sahen ihn zusammen mit etwa hundert stin-
    kenden, hohlbrüstigen schwarzen Männern, deren
    wichsenschwarze Haut vor Nässe triefte, als weine
    sie, in einen Korral gepfercht. Wir ließen ihn dort neben dem Pygmäen, der, ohne gefragt zu werden, sein
    dauernder Gefährte gewesen war.
    Einen Augenblick dachte ich, er hätte uns gesehen
    – denn er sah zu uns herüber –, aber viele aneinan-
    dergeschlossene Körper kreuzten zwischen uns hin
    und her, und Mister Trumpet sagte, das sei unmög-
    lich und zog mich fort in die dunkler werdende
    Stadtmitte, denn er wollte unbedingt ein paar Edel-
    steine verkaufen.
    »Geld, Jack! Geld! Wir brauchen Geld!«
    Also gingen wir Geld suchen, Mister Trumpet und
    ich Hand in Hand, denn bei Gott, ich hätte ihn an
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    einem Ort wie dem unabhängigen Hafen N-. niemals
    losgelassen.
    Die furchtbare Armut machte selbst die zahllosen
    Kinder und die spärlichen Greise gefährlich in ihrer Verzweiflung. Dies war der unterste Abgrund der
    Welt, wo schwärende Füße auf pulsende Hälse tra-
    ten, um daraus hervorzukriechen.
    In dem Schlamm, der zwischen den Hütten floß,
    gingen wir wie ein paar zerlumpte Motten auf jedes
    schimmernde Licht zu. Aber Lichter schienen solchen zu gehören, die nur reich genug waren, um ihre Armut zu beleuchten …
    Und durch diesen schrecklichen Ort flackerte die-
    selbe Hoffnung und leuchtete in so manchem gelbli-
    chen Auge, das vielleicht nur danach schmachtete,
    geschlossen zu werden. Denn hier hausten die Men-
    schen in ihrem äußersten Tiefstand, lebten nach der Sekunde, starben jede Stunde und hingen für ihre Be-lebung ab von – Änderungen des Windes, zeitwidri-
    gen Vögeln, einem Paar zerlumpter Fremder wie Mi-
    ster Trumpet und mir … mit einem Wort, von allem,
    was der Gewohnheit zuwiderlief, denn die Gewohn-
    heit war – Verzweiflung.

    »Mein Gott, Mister Trumpet, hier finden wir kein
    Geld.«
    Aber wir fanden welches. Hinter dem Hafenkai.
    Eine weiß gestrichene Holzhütte mit einer auf Stelzen stehenden Veranda ringsherum.
    Wir fanden Mister Thompson, einen schwarzen
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    Mann, der zum Nutzen der betrunkenen Seeleute ei-
    nen Laden betrieb, so daß sie ihr restliches Hab und Gut loswerden konnten: und zum Nutzen des
    schwarzen Königs von N-. der es sich manchmal in
    den glänzenden Schädel setzte, einer seiner zwölf
    schwarzen Frauen Brokatseide zu kaufen, die, wie er hörte, Mister Thompson gerade importiert hatte.
    Mister Thompsons vorquellende Augen hatten
    Seltsameres gesehen als uns, deshalb ließ er sich von unserem zerlumpten Zustand keinen Augenblick täuschen. Selbst als Mister Trumpet einen mittelgroßen Rubin vorzeigte, war er nicht überrascht. Mister
    Thompson war durch nichts zu überraschen; wenn
    der gesamte unabhängige Hafen N-. sich in Schwe-
    feldampf und Rauch aufgelöst hätte, so wäre Mister
    Thompson nicht überrascht gewesen. Er lächelte über Mister Trumpets Rubin.
    »Zwanzig Pfund«, sagte er, »Sir.«
    »Er ist tausend wert!« rief Mister Trumpet ärger-
    lich aus.
    »In Lissabon, London vielleicht. Hier – zwanzig
    Pfund, Sir.«
    »Gibt es hier so viele Rubine, Mister Thompson?
    Wachsen sie an Ihren verwesenden Bäumen, daß sie
    so billig sind?«
    »Nein.«
    »Warum dann so wenig?«
    »Wenn Sie mehr kriegen können, bitte schön, Sir.
    Vielleicht gibt Ihnen ein

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