Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen
kommt zuerst? Die Henne oder das Ei? Wir sind zu der Ansicht gelangt, dass die Energiequelle zuerst kommen muss. Man baut von unten nach oben. Man beginnt mit dem Motor und bringt dann die Geräte an ihm an, die die jeweils gewünschten Funktionen erfüllen sollen.«
Er hielt inne, und es trat Stille ein. Damit muss man immer rechnen, wenn ein Wissenschaftler versucht, eine verbale Brücke zum Nicht-Wissenschaftler zu schlagen. Deshalb sprang an dieser Stelle, wie abgesprochen, Condon ein. Er würde die Brücke sein, der Dolmetscher.
»Was Sie sagen, heißt also nichts anderes, als dass diese Formel, diese Energiequelle die Grundlage ist, auf der alle diese anderen Forschungsprojekte und Erfindungen aufbauen werden. Richtig?«
»Richtig«, sagte Pierce. »Sobald sich dieser Sachverhalt einmal in den wissenschaftlichen Fachzeitschriften und auf Symposien und Kongressen herumgesprochen hat, wird dies zu einer Intensivierung der Forschungsbemühungen auf diesem Gebiet und zu weiteren Erfindungen führen. Infolgedessen wird dieses Forschungsgebiet plötzlich hochinteressant werden. Es wird wesentlich attraktiver für Wissenschaftler, sobald dieses Einstiegsproblem einmal gelöst ist. Wir werden die Richtung angeben. Am Montag werden wir die Formel zum Patent anmelden. Im Anschluss daran werden wir unsere Entdeckungen veröffentlichen. Und wir werden Lizenzen an all jene vergeben, die die Forschung auf diesem Gebiet weiter voranbringen wollen.«
»An die Unternehmen, die diese im Blutkreislauf operierenden Vorrichtungen erfinden und herstellen.«
Das kam von Goddard, und er sagte es wie eine Feststellung, nicht wie eine Frage. Es war ein gutes Zeichen. Er biss an. Er fing Feuer.
»Ganz richtig«, sagte Pierce. »Sobald man die Energie bereitstellen kann, kann man eine Menge Dinge tun. Ein Auto ohne Motor kommt nicht vom Fleck. Und was wir hier haben, ist der Motor. Und er wird jemanden, der auf diesem Gebiet forscht, überall hin bringen, wohin er will.«
»Zum Beispiel«, schaltete sich Larraby ein, »sind allein in Amerika über eine Million an Diabetes leidende Menschen auf selbst verabreichte Insulininjektionen angewiesen. Einer von ihnen bin übrigens ich. Es ist vorstellbar, dass in nicht allzu ferner Zukunft ein zelluläres Gerät gebaut, programmiert und in den Blutkreislauf eingesetzt werden kann, das den Insulinspiegel misst und dann die entsprechende Menge Insulin produziert und freigibt.«
»Erzähl ihnen von Anthrax«, sagte Condon.
»Anthrax«, sagte Pierce. »Aufgrund der Ereignisse im vergangenen Jahr ist dieses tödliche Bakterium verstärkt in unser Bewusstsein gerückt, und wir alle wissen, wie schwer es nachzuweisen ist, wenn es sich in der Luft befindet. Worauf nun die Forschung auf diesem speziellen Gebiet hinarbeitet, ist der Tag, an dem, sagen wir mal, alle Postangestellten oder meinetwegen auch sämtliche Angehörigen unserer Streitkräfte oder vielleicht sogar wir alle einen Bio-Chip eingesetzt bekommen, der einen Krankheitserreger wie Anthrax entdecken und bekämpfen kann, bevor er sich vermehrt und im Körper ausbreitet.«
»Sie sehen also«, fügte Larraby hinzu, »die praktischen Einsatzmöglichkeiten sind unbegrenzt. Und wie bereits gesagt, wird die wissenschaftliche Grundlage hierfür schon bald geschaffen. Doch wie versorgt man diese Vorrichtungen im Körper mit Energie? Das ist die Krux der Forschung auf diesem Gebiet. Das ist eine Frage, die sich schon sehr lange stellt.«
»Und wir glauben, die Antwort darauf ist unser Rezept«, sagte Pierce. »Unsere Formel.«
Wieder Stille. Pierce sah Goddard an und wusste, er hatte ihn. Es heißt, man soll nicht schießen, bevor man nicht das Weiße in ihren Augen sehen kann. Jetzt konnte Pierce das Weiße sehen. Goddard war in den vergangenen Jahren vermutlich oft zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen und bei einer Menge guter Projekte eingestiegen. Aber bei keinem wie diesem. Bei keinem, das ihm so viel Geld einbringen und ihn außerdem noch zu einem Wohltäter der Menschheit machen würde. Und bei dem er auch noch ein gutes Gefühl dabei haben konnte, so viel Geld einzustreichen.
»Können wir jetzt die Vorführung sehen?«, fragte Bechy.
»Selbstverständlich«, sagte Pierce. »Wir haben im Elektronenmikroskop bereits alles vorbereitet.«
Er führte die Gruppe ins so genannte Bildgebungslabor. In dem etwa schlafzimmergroßen Raum stand ein Rasterelektronenmikroskop von den Ausmaßen eines Schreibtischs mit einem
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