Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen
Der Professor hatte von Nanochips gesprochen, so klein, dass Supercomputer von der Größe eines Dime gebaut werden könnten und würden. Pierce war fasziniert gewesen von dieser Idee und hatte sich von da an von seiner Neugier leiten lassen – er hatte sich auf die Jagd nach dem Dime gemacht.
»Ich fahre jetzt nach Venice«, sagte er zu Monica. »Nur, um dort kurz nach dem Rechten sehen. Dann lasse ich die Finger von der Sache.«
»Wirklich?«
»Ja. Sie können mich im Labor anrufen, wenn die Möbel hier sind und Sie nach Hause fahren.«
Er stand auf und warf sich den Rucksack über die Schulter.
»Wenn Sie mit Nicki reden, erzählen Sie ihr bitte nichts davon, ja?«
»Natürlich nicht, Henry.«
Er wusste, darauf konnte er nicht zählen, aber im Moment musste es ihm genügen. Er wandte sich zum Gehen und verließ die Wohnung. Auf dem Weg zum Aufzug dachte er über das nach, was Monica gesagt hatte, und versuchte sich über den Unterschied zwischen Neugier und Obsession klar zu werden. Irgendwo gab es eine Grenze zwischen den beiden. Aber er war nicht sicher, wo sie war.
8
Irgendetwas an der Adresse kam ihm eigenartig vor, etwas, das nicht ins Bild passte. Aber Pierce konnte nicht sagen, was es war. Obwohl er die ganze Fahrt nach Venice darüber nachdachte, kam er nicht darauf. Es war wie etwas hinter einem Duschvorhang Verborgenes. Es war nur verschwommen sichtbar, aber es war da.
Die Adresse, die Lilly Quinlan bei All American Mail angegeben hatte, war ein Bungalow am Altair Place, etwa einen Häuserblock von dem Abschnitt mit den exklusiven Antiquitätenläden und Restaurants im Abbot Kinney Boulevard entfernt. Es war ein kleines weißes Haus mit grauen Zierrändern, das Pierce irgendwie an eine Möwe erinnerte. Im Vorgarten machte sich eine fette Königspalme breit. Pierce parkte auf der anderen Straßenseite und blieb mehrere Minuten im Auto sitzen, um nach Hinweisen zu suchen, dass das Haus in letzter Zeit bewohnt worden war.
Der Garten war sorgfältig gepflegt. Wenn das Haus gemietet war, könnte das aber auch der Besitzer veranlasst haben. Weder in der Einfahrt noch in der offenen Garage im hinteren Teil stand ein Auto, und am Straßenrand türmten sich keine Zeitungen. Von außen war nichts Ungewöhnliches zu bemerken.
Schließlich beschloss Pierce, die Sache ganz direkt anzugehen. Er stieg aus dem BMW, überquerte die Straße und ging auf die Eingangstür zu. Es gab einen Klingelknopf. Er drückte darauf und hörte irgendwo im Haus einen unauffälligen Glockenton. Er wartete.
Nichts.
Er drückte noch einmal auf den Klingelknopf, dann klopfte er an die Tür.
Er wartete.
Wieder nichts.
Er sah sich um. Die Rollos hinter den Fenstern waren zu. Er drehte sich um und schaute beiläufig auf die Straße und die Häuser auf der anderen Straßenseite, während er hinter sich griff und den Türgriff versuchte. Die Tür war abgeschlossen.
Weil er nicht diesen Ausflug nicht abbrechen wollte, ohne etwas Neues in Erfahrung gebracht zu haben, wandte er sich von der Tür ab und ging zur Einfahrt, die an der linken Seite des Hauses entlang zu einer freistehenden Einzelgarage führte. Eine riesige Monterey-Kiefer, die das Haus winzig erscheinen ließ, warf mit ihren Wurzeln die Einfahrt auf. Sie nahmen Richtung auf das Haus, und Pierce vermutete, dass es in spätestens fünf Jahren zu baulichen Schäden käme, und dann würde sich die Frage stellen, ob der Baum oder das Haus gerettet werden sollte.
Das Garagentor war offen. Es war aus Holz, das sich von der Zeit und seinem eigenen Gewicht verzogen hatte. Es sah aus, als stünde es dauernd offen. Die Garage selbst war bis auf ein paar an der Rückwand aufgereihte Farbdosen leer.
Rechts von der Garage befand sich ein winziges Fleckchen Garten, das wegen der hohen Hecke, die es umgab, nicht eingesehen werden konnte. Auf dem Rasen standen zwei Liegestühle. Es gab eine Vogeltränke ohne Wasser darin. Pierce sah auf die Liegestühle und dachte an die Bräunungslinien, die er auf dem Internetfoto auf Lillys Körper gesehen hatte.
Nach kurzem Zögern ging Pierce zur Hintertür und klopfte wieder. In die obere Türhälfte war ein Fenster eingelassen. Ohne zu warten, ob jemand auf sein Klopfen reagierte, legte er die Hände um die Augen und spähte durch die Glasscheibe nach drinnen. Es war die Küche. Sie machte einen ordentlichen und sauberen Eindruck. Auf dem kleinen Tisch, der an der linken Längswand stand, war nichts. Auf
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