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Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen

Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen

Titel: Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Connelly
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genug hatte, um etwas zu unternehmen, bevor die Jagd begann, bevor sich sein Leben nur noch um eine einzige Sache drehte.
    Er ging auf den Balkon und blickte auf den kalten blauen Ozean hinaus. Er war im zwölften Stock. Der Blick reichte von Venice im Süden bis zu der Bergkette, die bei Malibu im Norden zum Meer abfiel. Die Sonne war bereits untergegangen, aber im Himmel waren noch wilde Striche von Orange und Violett. So hoch oben war der Wind vom Meer kalt und belebend. Pierce schob die Hände in die Hosentaschen. Die Finger seiner linken Hand schlossen sich um eine Münze, und er holte sie heraus. Ein Dime, ein Zehncentstück. Ein weiterer Hinweis darauf, was aus seinem Leben geworden war.
    Die Neonlichter des Riesenrads auf dem Santa Monica Pier waren an und gingen immer wieder nach demselben Schema an und aus. Das erinnerte ihn an das große Fest, für das die Firma zwei Jahre zuvor zur Feier ihrer ersten Patente für molekulare Speicherelemente den ganzen Vergnügungspark des Piers gemietet hatte. Keine Eintrittskarten, keine Warteschlangen und kein Zwang auszusteigen, wenn man noch Lust hatte weiterzufahren. Er und Nicole waren mindestens eine halbe Stunde in einer der offenen gelben Gondeln des Riesenrads geblieben. Auch an dem Abend damals war es kalt gewesen, und sie hatten sich eng aneinander geschmiegt. Sie hatten sich den Sonnenuntergang angesehen. Wenn er jetzt den Pier oder auch nur einen Sonnenuntergang sah, musste er unwillkürlich an sie denken.
    Als ihm das klar wurde, merkte er, dass er eine Wohnung gemietet hatte, von der man genau die Dinge sah, die ihn an Nicole erinnern würden. Das hatte etwas unterschwellig Krankhaftes, mit dem er sich im Moment nicht auseinander setzen wollte.
    Er legte sich den Dime auf den Daumennagel und schnippte ihn hoch. Er beobachtete ihn, bis er im Dunkeln verschwand. Unter ihm war ein Park, ein Streifen Grün zwischen dem Haus und dem Strand. Er hatte bereits mitbekommen, dass sich nachts Obdachlose einschlichen und in Schlafsäcken unter den Bäumen schliefen. Vielleicht würde einer von ihnen das hinuntergefallene Zehncentstück finden.
    Das Telefon läutete. Er ging ins Wohnzimmer zurück und sah die winzige LED-Anzeige im Dunkeln leuchten. Er griff nach dem Telefon und las die Nummer auf dem Display. Der Anruf kam vom Century Plaza Hotel. Er überlegte es sich bis zum dritten Läuten, dann ging er dran, ohne hallo zu sagen.
    »Wollen Sie Lilly sprechen?«, fragte er.
    Ein langer Moment der Stille verstrich, aber Pierce wusste, es war jemand dran. Er konnte im Hintergrund einen Fernseher hören.
    »Hallo? Ist dieser Anruf für Lilly?«
    Schließlich antwortete eine Männerstimme.
    »Ja, ist sie da?«
    »Sie ist im Moment nicht hier. Dürfte ich fragen, woher Sie diese Nummer haben?«
    »Von der Internetseite.«
    »Von welcher Internetseite?«
    Der Anrufer hängte auf. Pierce hielt das Telefon noch einen Moment an sein Ohr, dann schaltete er es aus. Er wollte gerade zur Basisstation gehen, um es aufzulegen, als es wieder läutete. Ohne auf die Rufnummernanzeige zu schauen, drückte Pierce die Gesprächstaste.
    »Sie sind falsch verbunden«, sagte er.
    »Augenblick, Einstein – bist du das?«
    Pierce grinste. Diesmal war niemand falsch verbunden. Er erkannte die Stimme. Sie gehörte Cody Zeller, der auf seiner VIP-Liste stand und die neue Nummer schon erhalten hatte. Zeller nannte ihn häufig Einstein, einer der Spitznamen aus seiner Collegezeit, die Pierce noch trug. Zeller war in erster Linie ein Freund und erst in zweiter ein Geschäftspartner. Er war Spezialist für Computersecurity und hatte im Laufe der Jahre, in denen Pierces Firma wuchs und in immer größere Räumlichkeiten umzog, zahlreiche Systeme für ihn konzipiert.
    »Entschuldige, Code«, sagte Pierce. »Ich dachte, es wäre jemand anders. Unter dieser Nummer kommen massenhaft Anrufe für jemand anders rein.«
    »Neue Nummer, neue Wohnung, heißt das, du bist wieder ungebunden, weiß und Single?«
    »Ich glaube schon.«
    »Mann, was ist mit Nicki passiert?«
    »Ich weiß nicht. Darüber will ich nicht reden.«
    Wenn er mit Freunden darüber spräche, verliehe es dem Ende ihrer Beziehung zusätzliche Endgültigkeit.
    »Dann werde ich dir sagen, was passiert ist«, sagte Zeller. »Zu viel Zeit im Labor und zu wenig im Bett. Hab ich dich etwa nicht davor gewarnt, Mann?«
    Zeller lachte. Er hatte schon immer die Fähigkeit gehabt, beim Analysieren einer Situation oder bestimmter Fakten zum Kern der

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