Jack McEvoy 05 - Unbekannt verzogen
machen, wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Nein«, sagte Pierce in einem Ton, der sich sogar für ihn sehr kleinlaut anhörte.
Renner nickte.
»Okay, Mr. Pierce, Sie können jetzt gehen. Vorerst. Nur unter uns, ich glaube nicht eine Sekunde lang, dass Sie mir hier die ganze Wahrheit gesagt haben. Es ist mein Job, zu merken, wann jemand lügt, und ich glaube, Sie lügen oder verschweigen etwas oder beides. Aber wissen Sie, das stört mich nicht groß, weil so etwas immer auf einen zurückfällt. Ich mag ja etwas langsam sein, Mr. Pierce. Und es stimmt, ich habe Sie hier zu lange festgehalten. Einen anständigen, angesehenen Bürger wie Sie. Aber das war nur, weil ich gründlich bin und etwas verstehe von meinem Job. Ich werde bald das ganze Bild haben. Das garantiere ich Ihnen. Und wenn ich herausfinde, dass Sie in diesem Bild irgendwelche Grenzen übertreten haben, wird es mir ein Vergnügen sein, wenn Sie wissen, was ich meine.«
Renner stand auf.
»Ich werde mich wegen des Lügendetektors bei Ihnen melden. Und wenn ich Sie wäre, würde ich mir gut überlegen, ob ich nicht lieber in dieses schöne neue Apartment im Ocean Way fahre und dort bleibe und mich aus dem allem hier raushalte, Mr. Pierce.«
Pierce stand auf und ging steif um den Tisch und Renner herum zur Tür. Da fiel ihm noch etwas ein.
»Wo ist mein Auto?«
»Ihr Auto? Wahrscheinlich da, wo Sie es zuletzt abgestellt haben. Gehen Sie zur Aufnahme vor. Die rufen Ihnen ein Taxi.«
»Vielen Dank.«
»Gute Nacht, Mr. Pierce. Sie hören noch von mir.«
Als Pierce durch den verlassenen Bereitschaftsraum zum Flur ging, der zur Aufnahme und zum Ausgang führte, sah er auf die Uhr. Es war null Uhr dreißig. Er musste Robin vor Renner erreichen, aber ihre Nummer war im Auto in seinem Rucksack.
Und als er auf den Aufnahmeschalter zuging, fiel ihm ein, dass er kein Geld für ein Taxi hatte. Er hatte sein ganzes Bargeld Robin gegeben. Er zögerte einen Moment.
»Kann ich Ihnen helfen, Sir?«
Die Frage kam von dem Polizisten hinter dem Schalter. Pierce merkte, dass er ihn aufmerksam beobachtete.
»Nein, alles in Ordnung.«
Er drehte sich um und verließ die Polizeistation. Draußen auf dem Venice Boulevard begann er in Richtung Westen zum Strand loszujoggen.
16
Als Pierce die schmale Straße hinunter zu seinem Auto ging, sah er, dass Lillys Wohnung immer noch ein Nest polizeilicher Aktivitäten war. Mehrere Fahrzeuge verstopften die Zufahrt, und um die Vorderseite des Apartments zu beleuchten, war eine mobile Scheinwerferanlage aufgestellt worden.
Er sah Renner vor dem Eingang stehen und sich mit seinem Partner unterhalten, einem Detective, an dessen Namen sich Pierce nicht erinnern konnte. Demnach war Renner auf dem Weg zum Tatort wahrscheinlich direkt an ihm vorbeigefahren und hatte ihn entweder nicht gesehen oder ihn absichtlich nicht mitgenommen. Pierce entschied sich für letztere Möglichkeit. Selbst nachts würde ein Cop einen Mann nicht übersehen, der in voller Kleidung die Straße entlang lief. Renner war absichtlich an ihm vorbeigefahren.
Um sich nach dem Laufen abzukühlen – und sich vielleicht auch zu verstecken –, blieb Pierce neben dem Auto stehen und beobachtete Renner und seinen Partner ein paar Minuten. Als die beiden schließlich nach drinnen gingen, entriegelte Pierce mit der Fernbedienung die Türen des BMW.
Er stieg ein und schloss behutsam die Tür. Als er den Zündschlüssel ins Schloss zu stecken versuchte, merkte er, dass die Innenbeleuchtung nicht angegangen war. Weil sie das beim Öffnen der Tür automatisch hätte tun sollen, dachte er, die Birne wäre ausgebrannt. Trotzdem griff er nach oben und drückte auf den Knopf. Nichts passierte. Er drückte noch einmal, und das Licht ging an.
Er saß eine Weile da, sah zum Licht hoch und dachte nach. Es gab drei verschiedene Beleuchtungsmodi, die sich durch Drücken des Knopfs neben der Deckenleuchte einstellen ließen. Im ersten Modus, der Normaleinstellung, ging das Licht beim Öffnen der Tür automatisch an. Wurde die Tür geschlossen, ging das Licht entweder nach fünfzehn Sekunden oder beim Einschalten der Zündung aus – je nachdem, was zuerst eintrat. Im zweiten Modus brannte das Licht ständig, auch bei geschlossener Tür. Im dritten Modus blieb das Licht ganz ausgeschaltet und ging beim Öffnen der Tür nicht automatisch an.
Pierce hatte das Licht immer im ersten Modus, damit das Wageninnere beim Einsteigen beleuchtet war.
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