Jack Reacher 01: Größenwahn
die Brieftasche. Schob die Fälschungen in seine Tasche.
»Ich gehe zurück zum Revier«, sagte er. »Sie beide kommen morgen so gegen Mittag. Teale ist dann zum Essen. Dann machen wir weiter.«
Roscoe und ich fuhren fünfzig Meilen südwärts, nach Macon. Ich wollte in Bewegung bleiben. Das ist eine Grundregel in Fragen der Sicherheit. Immer in Bewegung bleiben. Wir wählten ein anonymes Motel am südöstlichen Stadtrand. In der größtmöglichen Entfernung, die man von Macon aus nach Margrave bekommen kann, mit der ganzen Stadt zwischen uns und unseren Gegnern. Der gute, alte Bürgermeister hatte gesagt, daß ein Motel in Macon sicher besser für mich wäre. Für heute nacht hatte er mit Sicherheit recht.
Wir duschten kalt und fielen ins Bett. Fielen in einen unruhigen Schlaf. Das Zimmer war warm. Den größten Teil der Nacht warfen wir uns ruhelos hin und her. Gaben es auf und standen im Morgengrauen wieder auf. Standen gähnend im Dämmerlicht. Donnerstag morgen. Ein Gefühl, als hätten wir überhaupt nicht geschlafen. Wir tasteten uns durchs Zimmer und zogen uns im Dunkeln an. Roscoe ihre Uniform. Ich nahm meine alten Sachen. Bald würde ich ein paar neue kaufen müssen. Ich würde das mit Kliners Falschgeld erledigen.
»Was machen wir jetzt?« fragte Roscoe.
Ich antwortete nicht. Ich dachte über etwas anderes nach.
»Reacher? Was machen wir jetzt?«
»Was hat Gray damit angefangen?« fragte ich.
»Er hat sich aufgehängt.«
Ich dachte weiter nach.
»Hat er das wirklich?« fragte ich sie.
Stille.
»O Gott«, sagte Roscoe. »Glaubst du, es gibt Grund, daran zu zweifeln?«
»Vielleicht. Denk mal nach. Angenommen, er hat einen von ihnen damit zur Rede gestellt? Angenommen, er wurde erwischt, wie er irgendwo herumschnüffelte, wo er nicht hätte sein sollen?«
»Du glaubst, sie haben ihn umgebracht?« fragte sie. In ihrer Stimme klang Panik durch.
»Vielleicht«, sagte ich wieder. »Ich glaube, daß sie Joe und Stoller und die Morrisons und Hubble und Molly Beth Gordon umgebracht haben. Ich glaube, daß sie versucht haben, dich und mich umzubringen. Wenn jemand eine Bedrohung für sie darstellt, bringen sie ihn um. Das ist Kliners Methode.«
Roscoe schwieg eine Zeitlang. Dachte an ihren alten Kollegen. An Gray, den düsteren, geduldigen Detective. Der fünfundzwanzig Jahre lang gewissenhaft gearbeitet hatte. Ein Mann wie er war eine Bedrohung. Ein Mann, der zweiunddreißig Tage geduldig zur Überprüfung eines Verdachts investierte, war eine Bedrohung. Roscoe blickte mich an und nickte.
»Er muß einen falschen Schachzug gemacht haben«, sagte sie.
Ich nickte behutsam.
»Sie haben ihn gelyncht. Und ließen es aussehen wie einen Selbstmord.«
»Ich kann's nicht fassen«, sagte sie.
»Gab es einen Autopsiebericht?«
»Ich schätze, ja«, sagte sie,
»Dann überprüfen wir den«, entschied ich. »Wir müssen noch mal mit diesem Pathologen sprechen. Drüben in Yellow Springs.«
»Aber er hätte es doch gesagt, oder?« fragte sie mich. »Wenn er Zweifel gehabt hätte, hätte er sie da nicht sofort geäußert?«
»Er hätte sie vor Morrison geäußert«, sagte ich. »Morrison hätte sie ignoriert. Weil dessen Leute die Ursache für diese Zweifel gewesen wären. Wir müssen es selbst überprüfen.«
Roscoe erschauerte.
»Ich war bei seinem Begräbnis. Wir alle waren da. Chief Morrison hielt eine Rede auf der Wiese vor der Kirche. Und Bürgermeister Teale. Sie sagten, daß er ein guter Officer gewesen sei. Sie sagten, daß er Margraves bester Officer war. Aber sie haben ihn umgebracht.«
Sie sagte das mit einer Menge Gefühl in der Stimme. Sie hatte Margrave gemocht. Ihre Familie hatte sich seit Generationen hier abgemüht. Sie war hier verwurzelt. Sie hatte ihren Job gemocht. Ihn als sinnvollen Beitrag für die Gemeinschaft angesehen. Aber die Gemeinschaft, der sie gedient hatte, war verdorben. Sie war verrottet und korrupt. Es war keine Gemeinschaft. Es war ein Sumpf aus dreckigem Geld und Blut. Ich saß da und sah zu, wie ihre Welt zusammenbrach.
Wir fuhren auf der Straße zwischen Macon und Margrave nach Norden. Nach der halben Strecke bog Roscoe nach rechts ab, und wir fuhren auf einer Seitenstraße nach Yellow Springs hinüber. Zum Krankenhaus. Ich hatte Hunger. Wir hatten nicht gefrühstückt. Nicht die besten Voraussetzungen für einen erneuten Besuch im Leichenschauhaus. Wir bogen auf den Krankenhausparkplatz ein. Fuhren langsam über die Bodenschwellen und fädelten uns nach hinten
Weitere Kostenlose Bücher