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Jack Reacher 09: Sniper

Jack Reacher 09: Sniper

Titel: Jack Reacher 09: Sniper Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lee Child
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versuchten, mit ihm zu reden, aber er gab keine Antwort. Kein einziges Mal. Nicht ein Wort. Emerson störte das nicht weiter. Tatsächlich war es Emerson lieber, wenn Barr nichts sagte. Er wollte alle Beweise zusammentragen, unter die Lupe nehmen, auf den Prüfstand stellen, auf Hochglanz polieren und so einen Punkt erreichen, an dem eine Verurteilung ohne Geständnis denkbar war. Geständnisse ließen sich von der Verteidigung so leicht als durch Zwang oder Irreführung erlangt abtun, dass er gelernt hatte, einen weiten Bogen um sie zu machen. Sie waren der Zuckerguss auf der Torte. Buchstäblich das Letzte, was er hören wollte, nicht das Erste. Nicht wie in Fernsehkrimis, in denen schonungslose Verhöre eine entscheidende Rolle spielten. Also hielt er sich aus den Versuchen, James Barr zum Reden zu bringen, wohlweislich heraus und ließ seine Kriminaltechniker ihre langwierige, geduldige Arbeit zu Ende bringen.
     
    James Barrs jüngere Schwester war unverheiratet und wohnte in einem gemieteten Apartment in der Innenstadt. Sie hieß Rosemary. Wie die übrige Einwohnerschaft war sie empört und schockiert und wie vor den Kopf geschlagen. Sie hatte am Freitagabend die Nachrichten gesehen. Und sie stellte sie am Samstagmorgen wieder an. Dabei hörte sie den Kriminalbeamten den Namen ihres Bruders sagen. Erst glaubte sie, sich geirrt zu haben. Aber der Kerl wiederholte ihn ständig. James Barr, James Barr, James Barr . Sie brach in Tränen aus. Erst weinte sie vor Verwirrung, dann vor Entsetzen, schließlich vor Zorn.
    Dann zwang sie sich dazu, sich zu beruhigen, und hängte sich ans Telefon.
    Sie arbeitete als Sekretärin in einer Anwaltsfirma mit acht Partnern. Wie die meisten solcher Firmen in den mittelgroßen Städten im Herzen Amerikas war ihre auf fast allen Gebieten tätig. Und sie behandelte ihre Angestellten einigermaßen gut. Die Gehälter waren nicht spektakulär, aber als Ausgleich dafür gab es immaterielle Leistungen. Eine war die vollständige soziale Absicherung aller Mitarbeiter. Eine andere, dass man nicht Sekretärin, sondern Anwaltsgehilfin genannt wurde. Und eine dritte war das Versprechen, dass die Firma ihre Angestellten und deren Familien in allen Rechtsangelegenheiten unentgeltlich beraten und vertreten würde. Meist ging es dabei um Testamente, Scheidungen, Unterhaltsfragen oder Scherereien mit Versicherungen nach Verkehrsunfällen. Es ging nicht um die Verteidigung erwachsener Geschwister, die fälschlich beschuldigt wurden, als Heckenschützen ein Blutbad unter harmlosen Mitbürgern angerichtet zu haben. Darüber war sie sich im Klaren. Aber sie fühlte sich verpflichtet, einen Versuch zu wagen; denn sie kannte ihren Bruder und wusste, dass er unmöglich schuldig sein konnte.
    Sie rief den Partner, dessen Sekretärin sie war, bei sich zu Hause an. Er war vor allem Steueranwalt, deshalb rief er den Strafverteidiger der Firma an. Dieser rief seinerseits den geschäftsführenden Partner an, der alle Partner zu einer Besprechung einlud, die beim Lunch im Country Club stattfand. Das Gespräch drehte sich von Anfang an darum, wie Rosemary Barrs Ersuchen sich möglichst taktvoll ablehnen ließ. Die Verteidigung eines Mannes, der wegen fünffachen Mordes angeklagt war, gehörte nicht zu den Dingen, die sie sich zutrauten. Oder sich zutrauen wollten . Schließlich waren auch die PR-Auswirkungen zu bedenken. In diesem Punkt herrschte sofort Einigkeit. Aber sie stellten eine loyale Gruppe dar, und Rosemary Barr war eine gute Kraft, die seit Jahren bei ihnen arbeitete. Dass sie kein Geld besaß, wussten sie, weil sie ihre Steuererklärung machten. Ihr Bruder hatte vermutlich auch keines. Aber die Verfassung garantierte jedem Angeklagten kompetente Rechtsberatung, und sie hatten keine sehr hohe Meinung von Pflichtverteidigern. Deshalb saßen sie in einer wirklichen Zwickmühle.
    Der Strafverteidiger fand einen Ausweg. Er hieß David Chapman und war ein beinharter Veteran, der Rodin von der Staatsanwaltschaft kannte. Er kannte ihn sogar ziemlich gut. Das war geradezu unvermeidlich. Die beiden gehörten zur selben Sorte, waren im selben Viertel aufgewachsen und arbeiteten in derselben Branche, jedoch auf verschiedenen Seiten. Also ging Chapman in den Rauchsalon und benützte sein Handy, um den Staatsanwalt zu Hause anzurufen. Die beiden Juristen diskutierten den Fall ausführlich und freimütig. Danach kam Chapman an den Tisch zurück.
    »Das Urteil ist praktisch bereits gesprochen«, erklärte er. »Ms.

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