Jack Reacher 09: Sniper
sicher bin.«
»Sie führen Buch?«
Rodin wies mit dem Daumen auf seine Trophäenwand hinter dem Schreibtisch.
»Sieben Fälle, sieben Verurteilungen«, sagte er. »Hundert Prozent.«
»In welcher Zeit?«
»In drei Jahren. Mit James Barr werden’s acht von acht. Falls er jemals wieder zu sich kommt.«
»Was ist, wenn er mit einem Hirnschaden aufwacht?«
»Wacht er auch nur halbwegs verhandlungsfähig auf, wird er vor Gericht gestellt. Was er hier angerichtet hat, ist unverzeihlich.«
»Okay«, sagte Reacher.
»Okay, was?«
»Sie haben mir erzählt, was ich wissen wollte.«
»Sie haben gesagt, dass Sie Informationen besitzen. Aus der Army.«
»Die möchte ich vorerst für mich behalten.«
»Sie waren bei der Militärpolizei, habe ich recht?«
»Dreizehn Jahre«, sagte Reacher.
»Und Sie haben James Barr gekannt?«
»Kurz.«
»Erzählen Sie mir von ihm.«
»Noch nicht.«
»Mr. Reacher, falls Sie eine entlastende Aussage machen oder sonstwie zur Wahrheitsfindung beitragen können, müssen Sie’s mir wirklich jetzt sagen.«
»Muss ich das?«
»Ich erfahr’s ohnehin. Meine Tochter wird Ihre Aussage vorlegen. Sie wird versuchen, das Strafmaß vorab auszuhandeln.«
»Was bedeuten die Buchstaben A.A.?«
»Entschuldigung?«
»Ihre abgekürzten Vornamen.«
»Alexej Alexejewitsch. Meine Familie kommt aus Russland. Aber das ist schon lange her. Vor der Oktoberrevolution.«
»Aber sie hält die Tradition hoch.«
»Wie Sie sehen.«
»Wie nennen die Sie?«
»Natürlich Alex.«
Reacher stand auf. »Nun, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für mich genommen haben, Alex. Und für den Kaffee.«
»Gehen Sie jetzt zu meiner Tochter?«
»Hat das überhaupt noch einen Zweck? Sie scheinen sich Ihrer Sache ziemlich sicher zu sein.«
Rodin lächelte nachsichtig.
»Das ist eine reine Verfahrensfrage«, sagte er. »Ich bin ein Organ der Rechtspflege, und Sie stehen auf einer Zeugenliste. Ich muss Sie darauf aufmerksam machen, dass Sie hingehen müssen. Alles andere wäre unethisch.«
»Wo finde ich sie?«
»In dem Glasturm, den Sie durchs Fenster sehen.«
»Okay«, sagte Reacher. »Ich denke, ich könnte mal vorbeischauen.«
»Ich brauche trotzdem, was immer Sie an Informationen besitzen«, sagte Rodin.
Reacher schüttelte den Kopf.
»Nein«, entgegnete er. »Die brauchen Sie wirklich nicht.«
Er gab seinen Besucherausweis bei der Dame an der Rezeption ab und ging in Richtung Plaza zurück. Blieb im blassen Sonnenschein stehen und drehte sich langsam einmal um die eigene Achse, um ein Gefühl für diese Stadt zu bekommen. Alle Großstädte sind gleich, und alle Großstädte sind verschieden. Jede hat eine bestimmte Färbung. Manche sind grau. Diese hier war braun. Reacher vermutete, dass die Klinker aus hiesigem Ton gebrannt waren und so die Farbe alten Farmlands in die Fassaden gebracht hatten. Selbst der Naturstein war mit bräunlichen Einschlüssen gesprenkelt, die Eisenablagerungen zu sein schienen. Hier und dort setzten dunkelrote Gebäude – ehemalige Scheunen? – kräftige Farbakzente. Eine behagliche Stadt, nicht hektisch, aber sie würde überleben. Sie würde auch nach dieser Tragödie wieder auf die Beine kommen. Reacher nahm Fortschritt, Optimismus und Dynamik wahr. Die vielen Bauarbeiten waren ein Beweis dafür. Überall gab es Absperrungen, Umleitungen und aufgerissene Gehsteige. Viele Planungen, viele Umbauten. Viel Hoffnung.
Der noch unfertige Parkhausanbau bildete den nördlichen Abschluss der Hauptgeschäftsstraße der Innenstadt. Er ließ auf kommerzielle Erweiterungspläne schließen. Der Anbau lag südsüdwestlich des Zielgebiets. Sehr nahe. Genau im Westen und ungefähr doppelt so weit entfernt befand sich ein Abschnitt des aufgeständerten Highways. Er verlief in leichter Kurve ungefähr dreißig Meter weit völlig frei, bevor die Straße sich um die Bibliothek schlängelte. Dann wurde sie wieder gerade und führte hinter dem schwarzen Glasturm vorbei, der sich genau nördlich der Plaza befand. In der Nähe seines Eingangs prangte ein NBC-Zeichen auf einem dunkelgrauen Granitblock. Ann Yannis Arbeitsplatz, vermutete Reacher, und auch der von Rodins Tochter. Östlich der Plaza lag das DMV-Gebäude mit der Anwerbestelle der Streitkräfte. Von dort waren die Opfer gekommen. Sie hatten ins Freie gedrängt. Was hatte Ann Yanni gesagt? Am Ende einer langen Arbeitswoche? Sie waren auf dem Weg zu ihren geparkten Autos oder zum Busbahnhof nach Westen über den Platz gehastet und in
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