Jack Taylor auf dem Kreuzweg
fragte: »Und der wäre?«
»Mehr Nägel.«
Und weg war sie, wie ein Schreckgespenst, das eigentlich bei Tageslicht hier nichts zu suchen hat.
18
Die Brücke überquere ich,
wenn ich hinkomme.
I ch ging zum Friedhof, schuldbewusst, weil ich nicht bei Codys Beerdigung gewesen war. Und was bringt man mit?
Ein bisschen spät für Blumen, und ein echtes Blumenkind war er nie gewesen. Die Band Franz Ferdinand hatte er toll gefunden, also kaufte ich eine von deren CD s, und der Mann im Plattenladen sagte mir: »Ihre beste Zeit haben die hinter sich.«
Als hätte ich gefragt.
Ich wollte hinzufügen: »Genau wie Cody.«
Es regnete. Bei Friedhöfen gibt es, glaube ich, ein Statut, dass Regen Pflicht ist. Während ich inmitten der Totenkreuze wandelte, tat ich mein Bestes, die Inschriften nicht zu lesen. Ich schleppte genug Verstorbene mit mir herum, um einen Konvent im steten Gebet zu halten. Staunte wieder, dass wir auf der Insel immer noch die einzige Begräbnisstätte mit einer protestantischen und einer katholischen Seite haben.
Da wunderten sie sich, warum es im Norden mit dem Frieden nicht voranging, und hier waren sogar die Toten getrennt.
Ich fand das Grab innerhalb von fünf Minuten, einfach ein provisorisches Schild mit Codys Namen und Todesdatum. Man darf ein Jahr lang keinen Grabstein errichten. Warum nicht? Als würde man es sich anders überlegen und sagen: »Jetzt hatte ich Bedenkzeit und mich gegen das Gedenken entschieden.«
Das Grab war ein Gewirr aus Blumen, Ministatuen von sämtlichen Heiligen im Kalender, winzigen Kuscheltieren, bereits gut vom Regen vollgesuppt, und einem gerahmten Foto von Cody. Es sah ihm nicht ähnlich, und ich war irgendwie erleichtert. Es war ein gestelltes Foto, und für eine förmliche Studie solcher Art hätte er nie lange genug stillgehalten. Ich kenne mich nicht aus bei der Etikette an Gräbern. Kniet man, betet man, blickt man als Teil der Regelung untröstlich drein, wie, was?
Ich kniete.
Scheiß drauf.
Meine Hosenbeine zogen gierig Gras und Schmutz an – krieg das erst mal wieder sauber –, ich legte die CD zu den anderen Spenden und sagte: »Du hättest ein Anwärter sein können. Auf alles.«
Sagte es mit amerikanischem Akzent, den hatte er so gemocht. Ich glaube, ich meinte es ernst, obwohl es sich im Zentrum – wie die besten Gebete – hohl anhörte. Nicht die Worte, die waren so gut, wie Worte eben sind, unecht eben.
Ich stand wieder auf, die Knie taten mir weh, und hörte: »Mr Taylor.«
Drehte mich um und sah Codys Mutter. Ich hatte sie nur das eine Mal gesehen, als ihr Mann mir ins Gesicht spuckte. Sie trug einen schweren schwarzen Mantel, so dunkel wie die Schatten unter ihren Augen. Ich nickte, mir fehlten wahrhaft die Worte.
Sie sah auf das Päckchen, das ich hinterlegt hatte, und ich sagte: »Eine CD .« Kam mir nicht nur knickerig, sondern lächerlich vor.
Sie nickte, sagte: »Er hat Musik geliebt.«
Kann eine Stimme müde, abgenutzt sein?
Ihre war es.
Sie streckte die Hand aus, und ich zuckte zurück, erwartete einen Schlag. Sie berührte mich sanft am Arm, sagte: »Er hat Sie so bewundert.«
O Gott.
Ich musste es sagen, so schwach es auch war.
»Es tut mir so schrecklich leid.«
Sie starrte sein Foto an, in ihren Augen alle Trauer, die man je zu sehen kriegen würde.
Sie sagte: »Wenn man sein Kind verliert, verliert das Leben alle Bedeutung.«
Bevor ich irgendeine grässliche Plattitüde äußern konnte, setzte sie hinzu: »Sie sind ein Mensch, der von Verlusten umgeben ist.«
Und einen entsetzlichen Moment lang dachte ich, ich drehe durch.
Sie fügte hinzu: »Ich hasse Sie nicht, Mr Taylor, Sie haben unserem Cody für kurze Zeit einen echten Lebenssinn gegeben.«
Ich wollte Danke sagen, aber meine Stimme hatte mich verlassen.
Sie sprach weiter: »Wenn ich meine Gebete noch spräche, würde ich sogar versuchen, für Sie zu beten. Aber wie bei mir, glaube ich, kommt auch bei Ihnen Gottes Hilfe zu spät.«
Ich war schon oft von Experten verflucht worden, aber wenige Äußerungen haben mich so verdammt wie diese. Es war die stille Tonart tiefer Überzeugung.
»Bitte, gehen Sie jetzt, ich möchte mit meinem Jungen allein sein.«
Im Davonschlurfen sagte ich zu mir selbst, als wäre ich im Korridor auf dem Weg von der Todeszelle zum elektrischen Stuhl: »Toter Mann unterwegs.«
Ich traf mich mit Wellewulst in Jury’s Hotel, unten in der Quay Street. Sie hatten eine Kaffeebar und waren stolz auf deren Klasse. Das war das
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