Jacob beschließt zu lieben - Roman
Rückkehr auf dem Dachboden verstaut hatte, wie er uns erzählt hatte. Jetzt war ihm sogar der Dachboden zu unsicher geworden.
Andere Nachbarn hatten früher gehandelt. Schon als die Rumänen uns im August die Waffenbrüderschaft gekündigt hatten, hatte das Feuer in den Kaminen und Gärten verdächtig gebrannt. Ihm wurden Erinnerungsfotos der Söhne übergeben, die auf Fronturlaub gewesen waren. Fotos von Festen in deutschen Trachten. Zeitungen und Bücher, Schallplatten, WHW-Anhängsel, die Aufgabenhefte der Kinder und natürlich Hitler, hundertfach. Was man nicht den Flammen hatte überlassen können, hatte man weggebracht oder vergraben. Tief genug, damit der eigene Hund die Vergangenheit nicht erschnüffelte und sie im unpassendsten Moment zurück ins Haus brachte. Die Spielzeugarmeen der Kinder, dieAbzeichen der Jungen und die eingravierten Bierkrüge der Alten.
Mutter blieb bei jedem Gegenstand stehen, hob ihn hoch und fragte: «Ist das zu deutsch?» Jeder von uns riskierte eine Meinung, am Schluss entschied Vater, ob er blieb oder wegmusste. Wir warfen alles auf ein Bettlaken, das in der Stubenmitte ausgebreitet lag. Ich opferte all meine Besitztümer: die
Messerschmitt
-Modellflugzeuge und den Koppelriemen von Pauls Gurt, auf dem geschrieben stand:
Meine Ehre heißt Treue
.
Das Kruzifix brauchte nicht länger die Wand mit Hitler zu teilen. Bevor Vater und Sarelo alle vier Ecken des Lakens zusammenfügten und verknoteten, holte Vater von irgendwoher ein Foto Stalins und rahmte es anstelle von Hitler ein. Dann stellte er es auf die Konsole, angelehnt an die Wand. Provisorisch. Dort, wo früher das Radio Marke Eigenbau gestanden hatte, bevor wir es wie alle anderen Deutschen hatten abgeben müssen.
Vater war damit noch nicht zufrieden. Er sammelte alle Uhren ein, die wir im Haus hatten, und stellte sie auf den Stubentisch. «Es heißt, dass die Russen Uhren lieben. So brauchen sie nicht mehr zu suchen, wenn sie hierherkommen.» Er drehte sich zu uns um: «Ab jetzt sind wir Rumänen. Verstanden?» Wir nickten. Das war die erste und schnellste Verwandlung unter den vielen meines Lebens.
Dann trugen sie alles hinunter, bis wir es auf die eine oder andere Art loswerden konnten. Großvater holte erneut die Messer und folgte ihnen. Mutter legte den Arm auf meine Schulter und begutachtete Stalin. «Mit ihm im Haus kann uns nichts mehr passieren.»
Kaum war etwas Zeit verstrichen, und hatten wir unsetwas beruhigt, wurde unser Gartentor eingedrückt, und drei Russen, der eine mit dem Gewehr im Anschlag, kamen auf das Haus zu. Mutter öffnete die Tür und rief ihnen entgegen: «Tovarčşi!», was auf Russisch und Rumänisch dasselbe bedeutete: Genossen. Sie blieben verdutzt stehen, schauten sich an, dann schoben sie sie beiseite und drangen hinein. Mit ihren schweren Stiefeln schritten sie über unsere Holzdielen. Ich wusste, dass darunter zwei Männern und einem Jungen in Unterhosen und mit Metzgerschürzen gekleidet der Atem stockte. Dass vor ihnen das zerlegte Schwein lag. Und Hitler, in ein Bettlaken gehüllt.
Die Russen machten sich auf die Suche nach etwas, das wir zuerst nicht verstanden. Die Uhren beachteten sie gar nicht. Dann fiel ein Wort, das sie mit Nachdruck wiederholten, als sie unsere ungläubigen Gesichter sahen.
Ţuica
, rumänisch für Schnaps. Es schien, dass sie in Russland den Schnaps im Schlafzimmer aufbewahrten, denn dort suchten sie am intensivsten. Mutter zuckte hilflos mit den Achseln, und ich wusste, dass sie ihnen jede einzelne Flasche Schnaps gegeben hätte, wenn sie nicht alle im Keller gewesen wären.
Die Soldaten wurden ungehaltener, sie schienen in ihrer Sprache zu fluchen und begutachteten endlich die Uhrensammlung. Die aber stellte sie nicht zufrieden, denn es waren keine Uhren, die sie hätten mitnehmen können, sondern Wecker und Wanduhren. Einer hatte auch die Männerkleider entdeckt und hob sie gerade hoch, als wir hörten, wie jemand die Kellertreppe hochstieg. Vater kam mit zwei Flaschen in der Hand herein. Er stellte sie neben die Uhren, und als die Männer sich nicht rührten, lud er sie dazu ein: «Tovarăsi, Ţuica.»
Wir erwarteten, dass sich unter uns die Erde öffnete und wir hineinfielen. Dass sie uns in sich aufnahm, wie es sonst nur das Grab tut. Doch anstatt Fragen zu stellen, begannen die Russen so heftig zu lachen, als wollten sie bei dieser Gelegenheit auf ihre Kosten kommen, nachdem sie auf ihrem Marsch nach Berlin kaum etwas zu lachen gehabt hatten. Einer
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